Der Lehrerinnen-Zölibat: Als die Lehrerin noch das „Fräulein“ war
© eunikas/Depositphotos.com
Heute wird die Anrede „Fräulein“ meist von Eltern mit einem mehr oder weniger unterschwellig warnenden Unterton gebraucht.
Die Erinnerung an die Zeit, als sich kein widerspenstiges Kind, sondern eine unverheiratete, berufstätige und in der Regel unterbezahlte Verkäuferin, Sekretärin, Bedienung oder Krankenpflegerin angesprochen fühlen sollte, ist aber noch gar nicht so lange her, wie es uns heute erscheint.
Viele dieser „Fräuleins“ hätten die beliebte Bewerbungsgesprächsfrage „Wo sehen Sie sich in fünf oder zehn Jahren?“ gemäß den bis in die 1960er Jahre vorherrschenden Ansichten einer „normalen“ Lebensgestaltung wohl mit „Verheiratet und nicht mehr berufstätig“ beantwortet.
Was war der Lehrerinnen-Zölibat?
Dem „Fräulein Lehrerin“ wurde diese Entscheidung gleich abgenommen: Bis 1951 (in Baden-Württemberg sogar bis 1956) war der sogenannte Lehrerinnen-Zölibat in Deutschland gesetzlich verankert:
Entschied sich eine Lehrerin bis dahin zu heiraten, musste sie ihre Stellung aufgeben und verlor zudem ihren Anspruch auf das Ruhegehalt. Schieden Lehrerinnen nicht freiwillig aus, drohte ihnen die Kündigung.
Auch in der Schweiz durften Lehrerinnen bis in die 1960er Jahre nicht heiraten bzw. wurden nach einer Heirat aus ihrem Beruf gedrängt.
In Österreich-Ungarn unterschieden sich die Regelungen in den verschiedenen Gebieten und zu verschiedenen Zeiten. Teilweise musste die Erlaubnis zur Heirat eingeholt werden (Ehekonsens), andernorts bestand ein Eheverbot oder die Ehefreiheit. 1949 setzte in Österreich das "Bundesgesetz über das Diensteinkommen und die Ruhe- und Versorgungsgenüsse der unter der Diensthoheit der Länder stehenden Lehrer" (Landeslehrer-Gehaltsüberleitungsgesetz) in §12, Abs. 1 der Ungleichbehandllung von weiblichen und männlichen Lehrkräfte ein Ende.
Die Geschichte des Lehrerinnen-Zölibats:
Einführung des Lehrerinnen-Zölibats im Jahr 1880
1880 wurde der Lehrerinnen-Zölibat im Deutschen Reich per Ministererlass beschlossen.
Diese Entscheidung wurde in erster Linie mit den vorherrschenden moralischen Vorstellungen von den Geschlechterrollen dieser Zeit begründet.
Man befürchtete, die Frauen könnten ihren Verpflichtungen als Ehefrau und Mutter sowie als Pädagogin nicht gleichermaßen gerecht werden. Eine Berufstätigkeit wurde vor allem für bürgerliche Frauen lediglich als Überbrückung der Übergangszeit bis zu einer Heirat und Mutterschaft betrachtet.
Gegenüber dieser Rolle sollte die als zweitrangig angesehene Lehrtätigkeit zurücktreten. Wer im Schuldienst bleiben wollte, musste auf eine Ehe verzichten, erhielt aber – wie zu dieser Zeit auch in anderen Berufen üblich – lange nicht das gleiche Gehalt wie die männlichen Kollegen.
Viele Wissenschaftler sind darüber hinaus der Ansicht, der Lehrerinnen-Zölibat habe auch arbeitsmarktpolitische Zwecke erfüllt: Immer wieder, wenn im wahrsten Sinne des Wortes „Not am Mann“ war, kam es zu Ausnahmen von der Regel und auch verheiratete Frauen wurden eingestellt – allerdings ohne Anspruch auf eine Pension.
Umgekehrt war es so, dass gerade um 1880, im Einführungsjahr der Zölibatsklausel, sehr viele Männer eine Anstellung als Lehrer suchten. Und natürlich waren Männer auch in den Lehrer-Verbänden vorherrschend und Männer, die in der Politik über Gesetze entschieden.
Vorurteile gegen Frauen, die sich gegen eine Heirat und für den Lehrerberuf entschieden
Auch das Ansehen von Frauen, die sich in einer Gesellschaft, die den Ehestand als Norm betrachtete, bewusst für den Beruf und gegen eine Heirat entschieden, war von vielerlei Vorurteilen behaftet: So war der Psychiater Carl Wernicke (1848 – 1905) der Ansicht, „eine Lehrerin, die nicht hysterisch [sei], gehör[e] zu den Seltenheiten“ (zitiert nach: Bärbel Ehrmann-Köpke, „Demonstrativer Müßiggang“ oder „rastlose Tätigkeit“?, Münster 2010, S. 372).
In die Gleiche Kerbe schlug eine Studie von 1905, die über 50% aller Lehrerinnen bescheinigte, unter „Nervosität“ bzw. „Neurasthenie“, einer auch als „reizbare Schwäche“ bezeichneten psychischen Störung, zu leiden.
Zudem mussten Lehrerinnen bei privaten Unternehmungen und Äußerungen sehr auf ihre Außenwirkung achten. Als unverheiratete, berufstätige Frauen wurden sie schnell mit dem Vorwurf konfrontiert, sich „liederlich“ zu verhalten.
Ein Zeugnis dafür ist eine Liste mit Regeln für Lehrerinnen der Stadt Zürich aus dem Jahr 1915, der immer wieder in den Sozialen Medien kursiert. Unter anderem ist dort zu lesen, Lehrerinnen dürfen keine hellen Kleider tragen, keine Eisdielen besuchen oder zwischen 20 Uhr und 6 Uhr das Haus verlassen. Ob die Liste authentisch ist, ist nicht eindeutig festzustellen. Wie ein vom SPIEGEL befragter Bildungshistoriker mitteilt, seien solche Regeln jedoch nicht unplausibel: Im Ersten Weltkrieg wurden viele Männer als Soldaten eingezogen und man befürchtete, bei den in den zahlreichen in den Lehrerberuf einsteigenden Frauen, einen Sittenverfall und Kontrollverlust.
Die schwierige wirtschaftliche Lage sorgt für ein Fortbestehen des Lehrerinnen-Zölibats
1919 schien dann der Artikel 128 II der Weimarer Reichverfassung der Diskriminierung von Lehrerinnen ein Ende zu setzen: „Alle Ausnahmebestimmungen gegen weibliche Beamte werden beseitigt“, hieß es dort.
Als sich jedoch die wirtschaftliche Lage in Folge der Inflation immer weiter verschlechterte und Arbeitsstellen rar waren, wurde dieser Artikel schon vier Jahre später (27. Oktober 1923) durch die „Verordnung zur Herabminderung der Personalausgaben des Reichs“, oder kürzer „Personalabbauverordnung“, revidiert, um Arbeitsstellen für männliche Lehrer zu sichern.
Im Reichsgesetzblatt, Nr. 108 im Artikel 14, konnten die Lehrerinnen nun lesen: „Das Dienstverhältnis verheirateter weiblicher Beamter und Lehrer im Dienste des Reichs, der Länder und Gemeinden (…) kann jederzeit am 1. Werktag eines Monats zum Monatsende gekündigt werden (…)“. Das „kann“ in Artikel 14 machte es möglich, dass während des Zweiten Weltkriegs, als sich viele Lehrer als Soldaten an der Front befanden, die Zölibatsklausel zeitweise wieder weniger strikt beachtet wurde.
In den 1950er Jahren wird der Lehrerinnen-Zölibat in Deutschland abgeschafft
Erst 1951 wurde die Personalabbauverordnung gestrichen. Besonders lange wurde der Lehrerinnen-Zölibat in Baden-Württemberg durch eine Verankerung im Dienstrecht aufrechterhalten. Hier dauerte es noch fünf Jahre länger, bis Lehrerinnen eine Ehe eingehen durften.
Mit dem Lehrerinnen-Zölibat verschwand auch langsam die Ansprache einer Lehrerin als „Fräulein“ und überdauert als mahnende Anrede nur noch als Relikt aus vergangenen Zeiten.
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