Duzen oder siezen in der Grundschule?
Vor einigen Jahren (2008) formulierten die Schülersprecher der Gesamtschulen und Gymnasien in Rheinland-Pfalz auf ihrer 44. Landeskonferenz die Forderung an die Politik, das „Sie“ als standardmäßige Anrede für Lehrerinnen und Lehrer durch das „Du“ zu ersetzen. Die vertraulichere Anrede war damals ein Teil des Wunsches nach mehr Demokratie und Mitspracherecht für Schülerinnen und Schüler – offiziell umgesetzt wurde es nicht.
2021 brachten einige Berliner Jusos das Thema wieder auf den Plan. Ihre Vermutung war, dass sich das Verhältnis zwischen Lehrkräften und Schülerinnen und Schülern durch das Duzen verbessern würde. Die Debatte wurde zwar groß in den Medien aufgegriffen, aber durchgesetzt hat sich der Vorschlag nicht.
Anders als an den weiterführenden Schulen ist die Duz-Quote in den Grundschulen v.a. in den ersten Klassen sehr hoch. Welche Vor- und Nachteile hätte es, wenn die Kinder ihre Lehrerinnen und Lehrer während der gesamten Grundschulzeit duzen würden?
Im Westen und Norden ist das Duzen auf dem Vormarsch
Die Inspiration für ihre Forderung gewannen die Schülersprecher aus der Betrachtung der Situation an den Grundschulen, wo sich Lehrkräfte und Schülerinnen und Schüler ihrer Erfahrung nach heutzutage duzen.
Dass dies so pauschal auch in Zeiten des in schwedischen Möbelhäusern üblichen „Duz-Gebots“ nicht gilt, zeigt die durch „Die Zeit“ in bildliche Form übertragene Umfrage zur „Duz-Quote“ des Siegener Germanistik-Professors Wolfgang Steinig an deutschen Grundschulen (leider inzwischen nur noch für Abonennten zugänglich).
Die Umfrageergebnisse zeigen, dass Schülerinnen und Schüler im Westen und Norden Deutschlands ihre Lehrerinnen und Lehrer zwar im Unterschied zu ihren Erzieherinnen und Erziehern mit dem Nachnamen anreden, aber tatsächlich häufig bis zum Ende der Grundschulzeit duzen dürfen. Im Osten und Süden ist das förmliche „Sie“ noch weit üblicher. Insgesamt betrachtet hält sich das Verhältnis zwischen vertraulicher und förmlicher Anrede etwa die Waage.
Viel interessanter ist aber die Frage, welche Anrede mehr Vorteile für den Lernfortschritt und das Miteinander im Klassenzimmer mit sich bringt. Hier haben wir für Sie deshalb die häufig genannten Argumente für das Für und Wider zusammengetragen.
Die Qual der Wahl liegt dann wiederum bei Ihnen, da kaum eine Schule ihren Lehrkräften vorschreibt, sich duzen bzw. siezen zu lassen.
Pro Duzen: Wir-Gefühl und Vertrauen
Gerade der Übergang vom Kindergarten zur Schule bringt jede Menge Neues mit sich und nicht jedem Erstklässler fällt die Umstellung leicht. Plötzlich sollen sie längere Zeit ruhig an ihrem Platz sitzen, konzentriert mitarbeiten und nicht einfach drauflosplappern.
Während die Anrede mit dem Nachnamen noch leicht zu meistern ist, stellt das ungewohnte „Sie“ für die Schulanfängerinnen und Schulanfänger meist eine größere Hürde dar. Der Wechsel erfolgt deshalb häufig erst in der dritten oder vierten Klassenstufe – oder es wird weiter geduzt. Das Siezen wird nicht selten auch von Lehrkräften als Barriere zwischen sich und den Schülerinnen und Schülern empfunden oder klingt nach der langen „Duz-Zeit“ einfach zu unpersönlich.
Auch Teamgeist und Zugehörigkeitsgefühl sind immer Punkte, die von Pädagoginnen und Pädagogen für die persönlichere Anrede angeführt werden. Im Buch „Deutschland, deine Lehrer“ von Christine Eichel führt Wolfgang Vogelsaenger, Leiter der IGS Göttingen-Geismar, diese Punkte als das an, was seine Schule – immerhin Trägerin des Deutschen Schulpreises 2011 – ausmacht. Dabei nennt er auch das Duzen unter Lehrkräften, Schülerinnen und Schülern, aber auch allen anderen Angestellten, wie Putzkräften und Hausmeister, als wichtige Komponente für das Wir-Gefühl. Wobei das Duzen natürlich nur einen Teil des großen Ganzen und nicht das ganze Erfolgsgeheimnis ausmacht.
Für andere ist das „Du“ wiederum eine Hilfe auf dem Weg zu einem vertrauensvollen und harmonischen Verhältnis zwischen sich und den Schülerinnen und Schülern. Sie bauen darauf, dass es Schülerinnen und Schülern leichter fällt, offener zu sein und sich bei Problemen jemandem anzuvertrauen, mit dem sie per Du sind.
Pro Siezen: respektvoller Umgang und Sachlichkeit
Das „Sie“ muss jedoch kein Hindernisgrund für eine gute und vertrauensvolle Lehrer-Schüler-Beziehung sein: Können wir doch Menschen mögen, die wir siezen – und andere duzen, die uns unsympathisch sind. Genauso wenig verhindert das „Du“ einen Streit und gerade Beschimpfungen funktionieren weit besser in Kombination mit einem „Du“.
Das „Sie“ kann deshalb Ausdruck eines respektvollen Umgangs miteinander sein, der dann mit Erreichen der Oberstufe auch oftmals gegenseitig erfolgt.
Der Wechsel der Anrede ist für viele auch Teil des Reifungsprozesses der Kinder. Dabei ist das „Sie“ zum einen Ausdruck des Respekts gegenüber Erwachsenen, aber auch Anerkennung der Autorität von Lehrerinnen und Lehrer. Ein freundschaftliches Verhältnis ist immer wünschenswert, das „Sie“ hilft den Schülerinnen und Schülern aber zu erkennen, dass letztendlich Sie entscheiden, wie und was getan werden soll.
Vielen Kindern erleichtert das Siezen auch sachlicher zu bleiben und die Bereiche Schule und Privates, die sich besonders in der Grundschule natürlich noch häufig vermischen, besser zu trennen. Germanist Wolfgang Steinig ist zudem der Ansicht, die durch das „Sie“ geschaffene Sachlichkeit bzw. Distanz in der Sprache helfe den Kindern, sich überlegter und deshalb schriftsprachlicher auszudrücken.
Und nicht zuletzt muss das „Sie“ auch geübt werden. Das bedeutet einerseits die Auseinandersetzung mit der zusammenhängenden Grammatik, aber auch die Sensibilisierung gegenüber der richtigen Wahl der Anrede. Ein zu zeitiges „Du“ oder ein Siezen, nachdem man sich bereits geduzt hat, kann den Gegenüber ziemlich vor den Kopf stoßen und nicht selten verärgern.
Duzen oder siezen in der Grundschule?
Ob das Duzen oder Siezen die richtige Wahl für Sie ist, entscheiden letztendlich Ihre eigenen Vorlieben. Die Anrede, mit der Sie sich wohler fühlen, ist die richtige! Für den einen mag das „Sie“ als Respektsbekundung spießig oder einfach unnötig sein, der andere braucht kein Duzen, um ein Wir-Gefühl mit der Klasse zu erzeugen.
Für die Schülerinnen und Schüler ist allerdings wichtig, die Grundschule mit dem Wissen über den korrekten Einsatz der Höflichkeitsform zu verlassen. Das Üben durch die praktische Anwendung an Ihrer Person ist dabei sicher eine einprägsame Möglichkeit.
Quellen:
- logo! Lehrer und Lehrerinnen siezen oder duzen?
- BR24: Lehrer duzen? (Link leider inzwischen inaktiv)
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