Still sitzen war gestern –dynamisches Sitzen in der Schule
Heute ist der im „Struwwelpeter“ propagierte autoritär-dogmatische Erziehungsstil überholt. Dennoch: Wie dem Vater des „Zappel-Philipps“ am Esstisch, so missfällt es auch in der Schule häufig, wenn Kinder während des Unterrichts nicht still sitzen und Unruhe schaffen.
Dabei wissen wir inzwischen, dass das Kippeln, Rutschen und Wippen – allerdings in Bahnen gelenkt – durchaus positive Auswirkungen auf die Gesundheit und Lernfähigkeit hat:
Statt „Kippeln verboten“ sollte die Devise lauten: „Dynamisches Sitzen fördern“!
Mehr Bewegung in der Schule
Der Gedanke ist nicht neu: Schon Johann Heinrich Pestalozzi (1746-1827) forderte ein Lernen mit Kopf, Herz und Hand und vertrat damit ein ganzheitlich ausgerichtetes pädagogisches Konzept, das auch Bewegung mit einschloss.
In den 1980er Jahren war es erneut ein Schweizer, Urs Illi, der den Anstoß dazu lieferte, mehr Bewegung in die Schulen und v.a. das Sitzen zu bringen. Seitdem finden Elemente des Konzepts der „Bewegten Schule“ Eingang in immer mehr Leitbilder von Schulen.
In der „Bewegten Schule“ geht es nun weniger darum, die Anzahl der Sportstunden zu erhöhen, sondern die Bewegung in den Unterricht des Primar- und inzwischen vermehrt auch des Sekundarbereichs zu integrieren. Dabei existieren keine festgelegten Richtlinien darüber, welche Bewegungselemente eine Schule anbieten muss, um als „Bewegte Schule“ zu gelten. Da Schülerinnen und Schüler einen Schultag hauptsächlich im Sitzen verbringen, nimmt dieser Punkt jedoch schon von Beginn an eine zentrale Stellung ein.
Doch warum soll die Bewegung in die Schulzeit verlegt werden? Bewegen sich die Kinder nicht ausreichend in ihrer Freizeit?
Für die meisten Kinder und Jugendlichen muss diese Frage mit „nein“ beantwortet werden: Die unter der Schirmherrschaft der Weltgesundheitsorganisation (WHO) durchgeführte Studie „Health Behaviour in School-aged Children“ (HBSC) kam zu dem Ergebnis, dass sich über 80 Prozent der Jugendlichen in Deutschland zu wenig bewegen. Besonders im Alter zwischen 11 und 18 Jahren sinkt die Zahl der Kinder und Jugendlichen, die ausreichend körperlich aktiv sind. Mit der steigenden Anzahl von Ganztagsschulen sind Kinder heute zudem immer länger in der Schule.
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Zu den ergonomischen SitzmöbelnWir sind nicht fürs Sitzen gemacht
Abgesehen von den Pausen und dem Sportunterricht, verbringen Kinder und Jugendliche ihre Schulzeit zum größten Teil im Sitzen. Das ständige Stillsitzen fällt schwer, denn der Mensch ist eigentlich nicht fürs Sitzen gemacht – dem natürlichen Bewegungsbedürfnis von Kindern widerspricht es sowieso.
Je weniger wir uns bewegen bzw. je mehr wir sitzen, umso schwächer wird die Rumpfmuskulatur, die den Rücken stützt.
Beim Sitzen wiederum erfolgt eine einseitige Belastung der Rückenmuskulatur, die Bandscheiben werden nicht ausreichend mit Nährstoffen versorgt und die Lendenwirbelsäule wird entgegen ihres natürlichen Verlaufs gebogen. Als Folgen können langfristig Haltungsschäden, mangelnder Gleichgewichtssinn und Rückenschmerzen auftreten. Fehlende Bewegung und langes Sitzen in schlechter Sitzhaltung, die häufig durch nicht anpassungsfähige Sitzmöbel gefördert wird, sind deshalb keine gute Kombination.
Schon Kinder leiden unter Rückenschmerzen:
Im Rahmen der Präventionskampagne „Denk an mich. Dein Rücken“ der Berufsgenossenschaften, Unfallkassen, Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau sowie der Knappschaft wurde ermittelt, dass etwa die Hälfte der befragten 11- bis 17-Jährigen während der vergangenen drei Monate Rückenschmerzen hatten. In den meisten Fällen (nicht in allen, deshalb sollte bei Rückenschmerzen auch immer ein Arzt hinzugezoge werden) ist Bewegungsmangel ein entscheidender Faktor.
Und da wir heute nicht nur die Arbeit, sondern auch unsere Freizeit überwiegend im Sitzen verbringen, wird die Zahl der Rückenkranken mit zunehmendem Alter immer höher: Der Gesundheitsreport der Techniker Krankenkasse (TK) von 2014 berichtet, dass im Laufe des Lebens 80 Prozent der Menschen in Deutschland unter Rückenproblemen leiden.
Die Schmerzen schränken die Lebensqualität ein, verursachen Krankheitstage und sogar Arbeitsunfähigkeit. Diese Zahlen allein machen deutlich, wie wichtig es ist, präventiv etwas zu unternehmen. Dazu kommt, dass Schüler neben einer ausgewogenen Ernährung Bewegung benötigen, um einen ganzen Schultag, der sich durch zunehmenden Ganztagsunterricht noch verlängert, leistungsfähig und konzentriert bleiben zu können.
Denn Bewegung stärkt nicht nur den Rücken, sie sorgt auch für eine gute Durchblutung und Versorgung des Gehirns mit Sauerstoff und Nährstoffen. Die Konzentrations- und Lernfähigkeit der Schüler wird dadurch verbessert.
Dabei ist es nicht nötig Hochleistungssport zu betreiben; der Effekt kommt bereits bei einer leichten Belastung, wie z.B. durch Gehen, zum Tragen. Deshalb ist jede Form der Bewegung (sogar im Sitzen) sinnvoll. Auch Anspannungen und Stress werden durch die Anregung des Stoffwechsels schneller abgebaut.
Bewegtes Sitzen
Kippeln und unruhiges Sitzen sind häufig keine bewussten Unterrichtsstörungen der Kinder! Vielmehr ist es der Versuch, die unnatürliche Sitzhaltung durch Bewegung zu kompensieren.
Noch besser wäre es, wenn Sie und Ihre Kolleginnen und Kollegen die Schülerinnen und Schüler darin unterrichten würden, wie sie am besten „unruhig“ sitzen sollten ;-)
Hier ein paar Anregungen:
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Gute Grundhaltung:
Die Füße sind mit der gesamten Sohle auf dem Boden, Unter- und Oberschenkel bilden einen 90° Winkel, die Kniekehlen sind etwas von der Stuhlkante entfernt und die Oberschenkel liegen waagrecht auf der Sitzfläche. Beim Schreiben sollte die Lehne den Rücken am Beckenrand abstützen, sonst unterhalb der Schulterblätter. -
Entlastung I:
Zur Entlastung können die Ellenbogen auf den Oberschenkeln abgestützt werden, der Oberkörper ist nach vorn gebeugt. -
Entlastung II:
Der Stuhl wird mit der Lehne zum Tisch gestellt und die Schüler sitzen rittlings darauf. Die Arme können nun auf der Stuhllehne abgestützt werden. -
Strecken:
Zwischendurch immer mal wieder die Arme und Beine strecken und ausschütteln. Und den Nacken nicht vergessen: Der Scheitel wird wie an einem Bindfaden befestigt nach oben gezogen, dann wieder entspannt in die Ausgangsposition gebracht. -
Gewichtsverlagerung:
Das Gewicht wird abwechselnd von der linken auf die rechte Gesäßhälfte verlagert.
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Kreisen:
Der Oberkörper kreist ohne das Becken zu bewegen um die Körpermitte. Dabei sollen Bauch- und Rückenmuskulatur abwechselnd an- und entspannt werden. -
Locker lassen:
Die Muskulatur des Oberkörpers ist entspannt, er sinkt in sich zusammen. Dann wird die Muskulatur wieder angespannt und der Oberkörper richtet sich wieder auf. -
Statt sitzen:
Soweit es sich in den Unterricht integrieren lässt, sollten die Schüler immer wieder die Möglichkeit haben, zu Stehen, Knien, Gehen oder Liegen.
Die Übungen können weiter variiert werden. Durch die ständig veränderten Sitzpositionen werden unterschiedliche Belastungssituationen erzeugt, wodurch eine einseitige Belastung und Überlastung verhindert wird. Das Sitztraining schafft ein Bewusstsein für das eigene Sitzverhalten, das dadurch auch während des weiteren Berufslebens selbst gesteuert werden kann.
Der richtige Stuhl für einen gesunden Rücken
Die beste Voraussetzung für richtiges Sitzen bieten ergonomisch gestaltete Stühle und Tische. Diese sollten sich an die Körpergröße der Schüler anpassen lassen. Moderne Sitzmöbel erlauben nicht nur eine Regelung der Sitzhöhe, sondern auch eine Einstellung der Rückenlehne. Noch besser eignen sich Stühle, deren Sitzfläche und Lehne beweglich sind.
Ein dynamisches Sitzen wird durch den Stuhl gefördert: Ein Haltungsausgleich ist erforderlich, wodurch die Muskulatur aktiviert und trainiert wird. Diesen Balance-Effekt bewirken auch Sitzbälle – die allerdings nur ergänzend zu anderen Sitzmöglichkeiten angeboten werden sollten – und schwingende Hocker mit nach oben gewölbter Sitzfläche. Sie trainieren und schonen die Rückenmuskulatur gleichzeitig. Eine preiswertere Alternative bieten luftgefüllte Stuhlkissen (die bei vielen Lehrkräften beliebt sind, da sie das Kippeln verhindern).
Auch die Tische sollten in der Höhe verstellbar sein und eine leicht geneigte Schreibfläche aufweisen. Noch investieren allerdings nur wenige Schulen in eine ergonomische Schulausstattung: Nach Angaben aus der Broschüre „Denk an mich. Dein Rücken – Informationen für Lehrerinnen und Lehrer“ stehen nur 20 Prozent der Grundschüler höhenverstellbare Schulmöbel zur Verfügung.
Umso wichtiger ist es, den Schülern zum Ausgleich Bewegungsangebote zur Verfügung zu stellen und sie im rückenfeundlichen „Zappeln“ zu schulen :)
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Häufig gestellte Fragen
Was versteht man unter dynamischem Sitzen?
Dynamisches Sitzen, auch bewegtes Sitzen genannt, bezeichnet ein häufiges Wechseln der Sitzhaltung durch Gewichtsverlagerung und der Veränderung der Rückenposition (aufrecht, vor- oder zurückgeneigt). Ergonomische Stühle mit einem Kipp- oder Pendeleffekt sowie Sitzbälle fördern dynamisches Sitzen.
Warum ist dynamisches gesund?
Statisches Sitzen kann u.a. zu Verspannungen; Rückenschmerzen und schlecht durchbluteten Bandscheiben führen. Beim dynamischen Sitzen werden verschiedene Muskelgruppen beansprucht, eine einseitige Belastung vermieden und eine bessere Durchblutung der Bandscheiben gefördert. Dadurch kann gesundheitlichen Problemen wie Rückenschmerzen vorgebeugt werden.
Was ist beim dynamischen Sitzen zu beachten?
Natürlich kann man dynamisches Sitzen durch eine gute Grundhaltung, regelmäßiges Strecken, Bewegen und Gewichtsverlagerungen bewusst in den (Schul-)Alltag integrieren. Eine gute Unterstützung bieten ergonomische Sitzmöglichkeiten mit dreidimensional beweglichen Sitzflächen, Kipp- und Pendeleffekten.
Quellen
Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung: Richtig sitzen in der Schule
BR.de: Rückenschmerzen bei Kindern
Denk an mich, Dein Rücken: Prävention von Rückenbelastungen – Informationen für Lehrer
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