13 Eingliederungstipps für geflüchtete Kinder in der Regelklasse
Christian Schwier – stock.adobe.com
Kinder, die aufgrund eines Krieges die Flucht aus ihrem Land hinter sich haben, leiden wahrscheinlich unter einem Trauma. Kinder mit traumatischen Erfahrungen haben andere Voraussetzungen und vor allem andere Bedürfnisse als Kinder ohne diese Erfahrung. Dies trifft natürlich auch auf die Bedürfnisse in der Schule zu. Ein neues Land, eine neue Umgebung, neue Regeln und neue Menschen, die sie noch dazu nicht verstehen, machen nicht nur Kindern Angst, sondern auch Erwachsenen.
Es ist eine schwierige Zeit für alle. Für die Kinder selbst, aber auch für ihre Familien. Dadurch sind geflüchtete Kinder oftmals stärker auf sich allein gestellt oder müssen auch sehr viele Aufgaben für ihre Eltern oder Geschwister übernehmen.
Damit das Eingliedern in die Klasse leichter gelingt, und sich Kinder sowie Lehrerinnen und Lehrer wohlfühlen, habe ich hier einige Tipps für Sie zusammengeschrieben.
So gelingt die Eingliederung von geflüchteten Kindern
1. Muttersprache im Alltag einbauen
Je nach Alter können geflüchtete Kinder Englisch. Das erleichtert die Kommunikation enorm. Dennoch ist es für alle Kinder leichter, wenn in der Klasse sowie in der Schule wichtige Anweisungen und wichtige Punkte in der Muttersprache der Kinder formuliert werden.
Dazu könnten die Klassenräume zusätzlich mit muttersprachlichen Schildern versehen werden. Aber auch zum Deutschlernen: Einfach Zettel mit deutschen und muttersprachlichen Begriffen auf wichtige Gegenstände pinnen. Das erleichtert die Orientierung und das Zurechtfinden. Zusätzlich fördert es die Sicherheit und nimmt Stress aus dem Alltag.
2. Rückzugsmöglichkeiten
Wie bereits anfangs erwähnt, sind geflüchtete Kinder oft auch traumatisiert. Das bewirkt eine kognitive Überlastung und Überreizung, da in diesem Fall das Gehirn auf dauernde Alarmbereitschaft gesetzt ist. Das führt zu einem erhöhten Stresszustand.
Daher ist es empfehlenswert, diesen Kindern einen separaten Raum oder einen ruhigen Platz als Rückzugsmöglichkeit zu bieten. Dieser sollte so ruhig und so privat wie möglich sein. Wenn ein gesonderter Raum nicht möglich ist, kann auch eine ruhigere Ecke, am besten mit Blickschutz und Kopfhörern, geschaffen werden.
3. Arbeitsmappen
Es erleichtert das selbstständige Arbeiten, wenn die Aufgaben im eigenen Tempo durchgearbeitet werden können. Um hier den Kindern Sicherheit zu geben und gleichzeitig Autonomie zu gewährleisten, ist es sinnvoll, mehrere Arbeitsaufträge in Mappen oder anderen Ordnern vorzubereiten.
So, dass sie selbstständig abgearbeitet werden können, und dass die Schülerinnen und Schüler auch jederzeit nachsehen können, was zu tun ist, wo sie es finden und was noch alles zu erledigen ist. Trotzdem ist es ratsam, ihnen immer wieder Unterstützung anzubieten und nachzusehen, ob sie sich zurechtfinden.
4. Rückversichern
Um zu gewährleisten, dass die Schülerinnen und Schüler die Aufgabe oder den Auftrag auch wirklich verstanden haben, ist es notwendig, sich rückzuversichern. Wir sollten also nachfragen und nachsehen, ob alles verstanden und vor allem auch alles gemerkt wurde. Besonders die Konzentration und die Aufmerksamkeit sind für traumatisierte Schülerinnen und Schüler schwierig zu halten, da sie sich in einem Ausnahmezustand befinden.
Die kognitive Leistung ist mit dem Verarbeiten des Stresses sehr stark gebunden. Dies führt dazu, dass andere Aufgaben und Abläufe langsamer ausgeführt werden und natürlich auch in der gesamten Wichtigkeit hinten angereiht werden. Dadurch kommt es dazu, dass sich diese Kinder schwieriger etwas merken und sich auch schwerer tun, ihre Aufmerksamkeit und Konzentration darauf zu lenken und zu halten. Mehr Informationen zum generellen Umgang mit traumatisierten Kindern finden sie in diesem Beitrag auf Familiencouch.
5. Zeit visualisieren
Es empfiehlt sich, den Schülerinnen und Schülern die Zeit, die sie für die Aufgabe zur Verfügung haben, zu veranschaulichen. Gerade bei traumatisierten Kindern ist Zeit oft sehr nachrangig und sie verlieren sie schnell aus dem Blick. Sanduhren oder auch ein Timetimer erleichtern es ihnen, die Zeit nicht zu übersehen und sie sich besser einteilen zu können.
6. Mehr Zeit geben
Da ein Trauma dauerhaften Stress in den Betroffenen auslöst, können sie oft auch nicht schnell und konzentriert arbeiten. Es ist daher von Vorteil, mehr Zeit als üblich einzuplanen und auch mit mehr Wiederholungen zu planen. Neu Gelerntes benötigt bei solchen Umständen meist deutlich mehr Wiederholungen, um im Gedächtnis zu bleiben.
7. Vernetzung
Besonders die Schule und der Kindergarten sind für geflüchtete Kinder die erste Anlaufstelle im neuen Land. Für die Kinder und Familien ist es daher hilfreich, wenn die Schule versucht, das Kind für Freifächer zu motivieren. So finden Kinder schneller Anschluss.
Oftmals besteht in Freifächern die Möglichkeit für kleinere Gruppen. Durch das gemeinsame Interesse und der intimeren Gruppengröße entsteht schneller Verbundenheit und sozialer Kontakt. Freizeitaktivitäten und Hobbys können so von den Pädagoginnen und Pädagogen initiiert werden. Das sorgt dann für eine schnellere und leichtere Eingliederung.
8. Teambuilding
Ein neuer Schüler oder eine neue Schülerin in der Klasse zu sein, kann schwierig sein. Anfänglich besteht oft ein großes Interesse der anderen Schülerinnen und Schüler, das jedoch nach zwei bis drei Wochen dann schnell wieder abflacht. Diese anfängliche Neugierde können Pädagoginnen und Pädagogen gut nutzen, um die Eingliederung in den Klassenverband zu erleichtern.
Durch Teambuildingaufgaben lernen sich die Schülerinnen und Schüler besser kennen und es stärkt ihren Zusammenhalt. Bei geflüchteten Kindern empfehlen sich besonders in der Anfangsphase nonverbale Spiele. So entsteht kein zusätzlicher Stress oder gar Scham durch die geringe Sprachkenntnis.
Es eignen sich zum Beispiel alle Spiele, bei denen die Schülerinnen und Schüler in Gruppen etwas bauen müssen. Also den höchsten Turm mit Spaghetti, Faden, einem Marshmallow und Klebeband zum Beispiel. Aber auch eine stabile Brücke aus Papier und Klebeband, über welche dann ein schwerer Gegenstand rollen muss, eignen sich gut. Alles, was dazu beiträgt, dass die Schüler und Schülerinnen Gemeinsamkeiten entdecken und was das Kennenlernen beschleunigt, ist förderlich.
Im Beitrag "Kennenlernspiele für Ihren DaZ-Unterricht" stellt DaZ-Lehrerin Barbara Reisacher abwechslungsreiche Spiele für deutschlernende Kinder vor.
9. Sicherheit geben
Geflüchtete Kinder benötigen vordergründig eines: Sicherheit. Sicherheit ist ein Grundbedürfnis, das mit großer Wahrscheinlichkeit zutiefst durch die gemachten Erfahrungen und die komplett neue Situation, in der sie sich nun befinden, erschüttert wurde.
Daher sollte es zum wichtigsten Ziel erklärt werden, geflüchteten Schülern und Schülerinnen Sicherheit zu vermitteln. Das gelingt natürlich einerseits durch alle genannten Tipps und andererseits durch Vertrauen.
Es ist daher von Vorteil, wenn es ein oder mehrere Vertrauenspersonen für die Schüler und Schülerinnen gibt. Das kann aus der Lehrerschaft sein, ein Sozialarbeiter/eine Sozialarbeiterin in der Schule und auch Klassenkolleg/innen (durch die Auswahl eigens zuständiger Kinder zum Beispiel). Am besten natürlich: es gibt mehrere Anlaufstellen. Denn nicht immer ist jede Person verfügbar und nicht alle Themen wollen Schüler und Schülerinnen mit dem Lehrer/der Lehrerin besprechen oder mit Gleichaltrigen.
10. Am Wissensstand ansetzen
Das Ansetzen am aktuellen Wissensstand einer geflüchteten Schülerin oder eines Schülers ist nicht nur relevant für den weiteren Lernerfolg, sondern mindert auch den Stress und fördert so das Sicherheitsgefühl und das Wohlbefinden generell.
Je praxisbezogener der Lehrstoff vermittelt werden kann, desto motivierter werden die meisten Schülerinnen und Schüler sein, sich in das Thema zu vertiefen. Trotz der widrigen Umstände durch die neue Umgebung und neue Kultur, können so die Lehrkräfte die Kinder motivieren und stärken.
11. Soziale Regeln erklären und einüben
Auch, wenn sich die Kinder in einem Alter befinden, in dem sie wahrscheinlich schon die meisten sozialen Regeln kennen, ist es trotzdem sinnvoll, sie in konkreten Situationen dabei zu unterstützen. Zum einen wissen wir nicht, wie es in ihrer bisherigen Klasse und ihrem Umfeld gehandhabt wurde, und zum anderen erleichtert es den Kindern das soziale Miteinander.
Durch Traumatisierung kann es ihnen schwerfallen, die eigenen Emotionen zu kontrollieren, daher benötigen sie in dieser Zeit oft auch mehr Unterstützung dahingehend.
Wie drückt man Ärger noch aus, was kann ich gegen Frust tun? Das sind unter anderem Probleme, die gemeinsam aufgearbeitet werden können. Hilfe beim emotionalen Ausdrücken und das gezielte Erklären und Üben der üblichen sozialen Regeln fördert die Eingliederung und das Einleben im Klassenverband.
12. Emotionen zulassen
Wie schon erwähnt, fällt es geflüchteten Kindern, durch ihre beängstigenden Erlebnisse, oftmals schwer, ihre Gefühle angepasst zu zeigen. Zusätzlich können auch bestimmte Reize unerwartet starke Angstreaktionen auslösen. Hier ist es wichtig, den Kindern die Emotionen nicht abzusprechen und sie zuzulassen.
Verständnis zeigen, ernst nehmen und sie bei der Bewältigung ihrer Emotionen unterstützen, hilft geflüchteten Kindern bei der Aufarbeitung und fördert so auch das soziale Miteinander. Den Klassenkolleg/innen sollten Sie auch erklären, warum das vermutlich so ist und wie sie dem Schüler/der Schülerin helfen können.
Trösten, beistehen, Hilfe holen, gemeinsam tief durchatmen, gemeinsam zählen zum Beruhigen und andere Beruhigungsmethoden anwenden. Das hilft, den Stress und die Angst zu mindern und fördert gleichzeitig das „Wir-Gefühl“.
13. Anstrengungen anerkennen
Auch geflüchtete Kinder benötigen Erfolgserlebnisse. Und das gilt für alle Altersstufen. Für das Wohlbefinden und daher auch für die Eingliederung ist es deshalb hilfreich, wenn alle Schüler und Schülerinnen der Klasse regelmäßig Anerkennung und Feedback zu ihren Leistungen erhalten.
Es ist schon klar, dass das natürlich auch über Noten und andere Beurteilungsmethoden geschieht. Aber auch Anerkennung für die Anstrengung ist wichtig. Denn, auch wenn die Noten vielleicht nicht gut sind, kann es sein, dass sich der Schüler oder die Schülerin trotzdem angestrengt hat, um den Lehrstoff zu bewältigen.
Das trifft auch auf das soziale Miteinander zu. Wenn sich neue Kinder in der Klasse angestrengt haben, sich zurechtzufinden. Aber z. B. auch, wenn die Schüler und Schülerinnen den neuen Kindern helfen, sich einzugliedern. Lob und Anerkennung für die Anstrengung ist vom Erreichen des Ziels unabhängig. Es hebt die Motivation und fördert somit das Interesse an der Eingliederung und hebt den Selbstwert und das Selbstvertrauen. Alles sehr wichtige Faktoren für ein gelungenes Miteinander.
Resümee
Geflüchtete Kinder in einer Regelklasse zu integrieren, bedarf viel Einfühlungsvermögen und bedeutet natürlich auch zusätzliche Arbeit und Anstrengung. Die Eingliederung sollte daher auch von einem Team aus Lehrkräften, Sozialarbeiter/innen, Schulpsycholog/innen, den Eltern und anderen zur Verfügung stehenden Personen begleitet werden.
So gelingt es den Neuankömmlingen leichter, sich rasch zurechtzufinden, Vertrauen zu schöpfen und ein neues Sicherheitsgefühl aufzubauen. Nur so kann es den Kindern gelingen, allmählich in einen geordneten und regelmäßigen Tagesablauf zurückzufinden. Die Schule und speziell Lehrerinnen und Lehrer, sind ein wichtiger Baustein, um geflüchteten Kindern einen sicheren und kindgerechten Alltag wieder zu ermöglichen.
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