Flexible Seating: Mehr Bewegung und Selbstbestimmung im Klassenzimmer
Schon seit einiger Zeit ist in den USA eine Form der schülerzentrierten Klassenraum-Gestaltung, v. a. an Grundschulen, sehr im Trend: Flexible Seating.
In der Annahme, dass die Raumgestaltung und die damit einhergehenden Möglichkeiten für die Schülerinnen und Schüler einen Einfluss auf die Lernatmosphäre und das Lernen hat, dürfen sie beim flexiblen bzw. freien Sitzen mitentscheiden, wie und wo sie sitzen möchten.
Hier erfahren Sie, was man unter "Flexible Seating" bzw. "Flexiblem/Freien Sitzen" versteht, welche Vorteile es hat und was Sie bei der Umsetzung beachten sollten.
Verschiedene Sitzarrangements
Beim Flexible Seating stellen die Lehrerinnen und Lehrer in den Klassenzimmern oder auf den Fluren (soweit dies mit dem Brandschutz vereinbar ist) Arrangements mit verschiedenen Sitzmöglichkeiten zur Verfügung.
Beliebt sind dabei besonders:
- Sitzbälle bzw. Gymnastikbälle
- Sitzsäcke
- Hocker u. a. auch Wackel- und Schwinghocker
- Balancierkissen und andere Sitzauflagen
- Sessel
- Sitzschalen
- Hochstühle
- Sitzwürfel (eine Auswahl finden Sie bei den Betzold Rückzugsraum-Möbeln)
- Normale Stühle sind natürlich nach wie vor meist auch dabei ;-)
Die Sitzmöglichkeiten werden je nach Höhe um Tische in Couch-, Schreibtisch- und Bistrotischhöhe drapiert. Die hohen Tische haben den Vorteil, dass die Schüler dort auch im Stehen arbeiten können – eine Möglichkeit, die als Beitrag zur Rückengesundheit inzwischen auch in vielen Büros angeboten wird.
Schoßtabletts und Klemmbretter ergänzen Tische als Schreibunterlage.
Auf Matten, Bodenkissen und Teppichen dürfen die Schüler auch auf dem Boden lernen und können dabei verschiedene Liege- und Sitzhaltungen einnehmen.
Um die Sitzgruppen schnell verändern zu können, sind leichte und flexible Sitzmöglichkeiten sinnvoll. So kann unkompliziert Platz für einen Sitzkreis geschaffen, von Gruppen- zu Partnerarbeit gewechselt oder alle Plätze auf die Tafel ausgerichtet werden.
Welche Vorteile hat Flexible Seating?
Schülern, v. a. Grundschülern, fällt es oft schwer, für eine längere Zeit still zu sitzen. In Flexible Seating-Klassenzimmern wird das von ihnen gar nicht erwartet. Sie dürfen ihre Sitzhaltung jederzeit ändern, auf beweglichen Sitzmöglichkeiten Platz nehmen und (abhängig von den vereinbarten Regeln, s. u.) auch den Sitzplatz tauschen.
Darüber hinaus finden es viele Kinder toll, die Wahl zwischen verschiedenen Sitzmöglichkeiten zu haben und fühlen sich deshalb im Klassenzimmer besonders wohl, machen dadurch motivierter mit und können bessere Leistungen erzielen.
Lehrerinnen und Lehrer, die flexible Sitzgruppen in ihren Klassenzimmern haben, berichten von folgenden Vorteilen:
- Flexible Seating hat einen positiven Einfluss auf die Zusammenarbeit, die Kommunikation und Interaktion der Schüler untereinander.
- Die verschiedenen Sitzmöglichkeiten fordern von den Schülern unterschiedliche Sitzhaltungen, was zur Rückengesundheit beiträgt.
Mehr dazu erfahren Sie im Blog-Beitrag „Dynamisches Sitzen. Still sitzen war gestern – bewegtes Sitzen in der Schule“. - Die Möglichkeit, auf Wackelhockern, schwingenden Sitzen oder auf dem Boden zu lernen, hilft Schülern, denen es besonders schwer fällt, still zu sitzen.
- Die Kinder nehmen beim Lernen die unterschiedlichsten Plätze und Haltungen ein und können neue Perspektiven entdecken, was ihrer Kreativität zugutekommt.
- Durch die Wahl, wie und wo sie sitzen möchten, lernen die Schüler Entscheidungen zu treffen und selbst zu beurteilen, wie und wo sie am besten lernen können.
- Die Schüler arbeiten motivierter und fokussierter mit.
- Die Schüler identifizieren sich mehr mit dem Klassenraum und gehen sorgsamer mit den Materialien und Möbeln um. Statt ‚mein Platz‘ gilt ‚unser Raum‘ :)
- In Ihrem Beitrag in „Psychology Today“ wirft die Psychologin und Autorin Maureen Healy einen Blick auf einige amerikanische Studien, die die Vorteile von Flexible Seating bestärken.
- Eine 2015 veröffentlichte Studie aus Großbritannien untersuchte den Einfluss der Klassenzimmergestaltung auf das Lernen. Eine Rolle spielten dabei äußere Einflüsse (z. B. Licht, Temperatur), die Sinne stimulierendes (Farben, Formen, Gestaltungsdetails) und individuelle Faktoren (Flexibilität, Schülerbesitz).
Die Wissenschaftler ermittelten eine Leistungsverbesserung um 16%, wenn alle Faktoren optimal ausgebildet waren. Ein Viertel dieser Leistungssteigerung entfiel auf die Möglichkeit, für Schüler ihre Umgebung zu personalisieren und eigenverantwortlich wählen zu können.
Flexible Seating braucht Regeln und ein gutes Classroom Management
Mit dem Austauschen der Sitzmöglichkeiten ist die Arbeit bei der Umsetzung von Flexible Seating aber noch nicht getan. Damit die Platzwahl störungsfrei und möglichst zügig abläuft, benötigen Sie auf Ihre Situation abgestimmte Regeln und eine gute Organisation.
Die Schüler sind mit der neuen Freiheit zu Beginn oft überfordert und müssen erst lernen, damit umzugehen. Gemeinsam aufgestellte Regeln können ihnen dabei Sicherheit geben.
Auch das Alter der Schüler und die Situation in der Klasse müssen berücksichtigt werden. Gibt es z. B. Schüler, bei denen Sie vermuten, dass sie durch die häufige Veränderung des Sitzplatzes Schwierigkeiten haben könnten? Die Umsetzung ist im Detail somit sehr von der jeweiligen Klasse abhängig.
Diese 3 Punkte sollten Sie bei der Einführung von Flexible Seating bedenken:
1. Wann und wie häufig werden die Plätze gewählt?
Eine zentrale Überlegung ist es, zu entscheiden, wie die Platzwahl ablaufen soll und v. a. wann sie möglich sein soll:
- z. B. regelmäßig zu Beginn des Schultags,
- zu Beginn der Woche oder
- wenn Sie von Gruppen- zu Einzelarbeit oder Klassenunterricht wechseln.
Manche Lehrkräfte verbinden die Platzwahl mit einem Belohnungssystem: Schüler, die gut mitgearbeitet haben, erhalten das Privileg, sich ihren Platz zuerst auszusuchen.
2. Wahl des Sitzplatzes
Besonders bei mobilen Sitzmöglichkeiten, wie Sitzbälle oder Hocker mit Rollen, ist es wichtig, den Schülern zu erläutern, wie sie die Sitze nutzen können und was nicht erlaubt ist.
Jeder muss einen für sich bequemen Sitzplatz und eine gute Haltung finden. Für den Beginn raten Lehrkräfte, die Flexible Seating eingeführt haben, dazu, den Kindern die Chance zu geben, jede Sitzgruppe einmal auszuprobieren, um festzustellen, wo sie in welchen Situationen (z. B. Einzel-, Paar- und Gruppenarbeit oder Klassenunterricht) am besten lernen können.
3. Regeln
Die Regeln und Hilfestellungen für die Schüler können Sie gemeinsam mit der Klasse erarbeiten und gut sichtbar als Poster aufhängen.
Hier sind Beispiele für Flexible Seating-Regeln:
- Sucht euch einen Platz aus, an dem ihr gut lernen könnt.
- Wenn ihr die Plätze während der Stunde tauschen möchtet, müsst ihr vorher die Lehrerin/den Lehrer fragen.
- Die Sitzmöglichkeiten müssen angemessen genutzt werden (vorher klären, welche Haltungen für welche Sitzmöglichkeit gut sind und was nicht erlaubt ist).
- Wer an seinem Platz nicht konzentriert arbeiten kann oder andere stört, kann umgesetzt werden.
- Gebt auf die Sitzmöglichkeiten gut acht. Sie sind für alle da.
Aufbewahrung der eigenen Materialien und Taschen
Damit die Schultaschen und Rucksäcke der Schüler nicht überall im Raum verteilt liegen, benötigen Sie Stauraum bzw. eine Abstellfläche für die Ranzen. Diese sollte für die Schüler zugänglich sein, falls sie etwas aus ihren Taschen benötigen.
Hürden auf dem Weg zum Flexible Seating
Auf dem Weg zum Flexible Seating müssen aber auch einige Hürden überwunden werden:
-
Überzeugungsarbeit
Bevor Sie die Sitzmöglichkeiten in Ihrem Klassenzimmer umgestalten können, benötigen Sie das Einverständnis der Schulleitung, das Verständnis der Kolleginnen und Kollegen und Sie sollten auch die Eltern der Schülerinnen und Schüler informieren.
Eine gute Möglichkeit zu testen, ob Flexible Seating etwas für Sie und Ihre Klasse ist und welche Herausforderungen es mit sich bringt, ist ein Probelauf z. B. während der Projektwochen.
Vielleicht können Sie aus der Turnhalle und der Schule für die kurze Zeit einige geeignete Sitzmöglichkeiten wie Hocker, Matten, Bänke und Kästen ausleihen. Dazu darf sich jedes Kind ein Sitzkissen von zu Hause mitbringen, um die umfunktionierten Geräte bei Bedarf bequemer zu machen.
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Neue Herausforderungen
Da die neuen Möglichkeiten für Sie und Ihre Schüler wahrscheinlich auch neue Herausforderungen im Bereich des Classroom Managements mit sich bringen werden, ist ein langsamer Wechsel zum Flexible Seating sinnvoll. Sie können z. B. damit beginnen, in einem Bereich des Raums alternative Sitzmöglichkeiten anzubieten, wo kleine Schülergruppen in passenden Situationen lernen können. So sehen Sie wie Ihre Schüler auf die Veränderungen reagieren und können neue Abläufe und Regeln aufbauen.
-
Kosten
Die Kosten für die alternativen Sitzmöglichkeiten und Tische müssen bedacht werden. In den USA müssen viele Lehrerinnen und Lehrer die Kosten selbst tragen. Wenn der Etat der Schule nicht ausreicht bzw. dafür keine Gelder vorgesehen sind, können Sie versuchen, den Schulförderverein von der Idee zu begeistern.
-
Raumsituation
Anders als in den USA, wo Lehrerunterrichtszimmerdie Regel sind, überwiegt an deutschen Schulen das Klassenraumprinzip. Das bedeutet, dass die Klasse in den Räumen von verschiedenen Lehrerinnen und Lehrern unterrichtet wird, die alle das flexible Sitzen tragen müssten.
Die amerikanischen Lehrkräfte können ihre Zimmer in der Regel nach den eigenen Vorstellungen (und eben leider oft auch mit dem eigenen Geld) gestalten, wie sie es für richtig halten.
Hier wäre Flexible Seating also nur umsetzbar, wenn Sie Ihre Kolleginnen und Kollegen mit an Bord holen oder wenn Sie das Glück haben, über ein Lehrerunterrichtszimmer zu verfügen.
Wer noch mehr Input benötigt, wird unter dem Begriff „Flexible Seating“ im Internet schnell fündig. Die amerikanischen Lehrerinnen und Lehrer präsentieren ihre Klassenzimmer zu Recht voller Stolz in ihren Blogs, auf Pinterest und YouTube.
Einen ausführlichen Erfahrungsbericht gibt Meghan, Grundschullehrerin aus Kalifornien, in ihrem Blog “The creative colorful classroom“.
Wie bei allem gilt auch hier: Es reicht nicht, neue Stühle ins Klassenzimmer zu stellen. Die Einrichtung muss auf die pädagogischen Maßnahmen und das eigene Unterrichtskonzept abgestimmt sein. Die Lehrkräfte müssen wissen, wie sie die neue Dynamik, die durch die neue Raumnutzung entsteht, nutzen können. Nur wenn eine Veränderung der Klassenraumgestaltung und eine Anpassung des Lehrens Hand in Hand gehen, kann Flexible Seating zu einer Verbesserung der Leistungen der Schüler führen.
Aber wie Kayla Delzer, Grundschullehrerin und Felexible Seating-Fan, in einer Kolummne auf EdSurge.com sagt:
„Don’t feed the fears – just try it and see what works for you.“
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