Drei Ansätze für hirngerechtes Mathelernen
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Eine verrückte Situation: der wichtige „Nährboden“ für gelingendes Mathelernen ist zu mager. Lesen Sie hier über das neue Kinderbuch „Tinas AHA! Mathelernen geht. Lass dein Gehirn mal machen!“, das Kindern und Jugendlichen ihre Zuversicht und ihre Kräfte für ihr Mathelernen (zurück-)geben möchte durch modernes Lern- und Hirnverständnis.
Dabei werden drei fundamentale Einsichten vorgestellt:
Es braucht viele Helferlein, um dieses richtungsweisende Verständnis in die Schule und ins Leben zu bringen. Lassen Sie sich inspirieren.
„... Hast du schon einmal gedacht, dass Mathe viel zu schwierig für dich ist? Dass dir das sagenumwobene „Mathetalent“ einfach fehlt? Hast du dich schon einmal gefragt, wer und vor allem was ein geheimnisvoller „Zahlenmensch“ ist? Sagst du vielleicht: „Mathe kann ich einfach nicht.“? Warum denken wir so über uns? Ist das nicht sogar etwas krass? ... Es gibt allerdings gute Gründe dafür, über freundlichere und bessere Möglichkeiten nachzudenken ...“
So beginnt das Buch „Tinas AHA! Mathelernen geht. Lass dein Gehirn mal machen!“ und springt sodann mitten hinein in Tinas kindliche Erlebnisse rundum Mathe und Lernen.
Dabei zeigen sich viele wundervolle AHAs, die kinderleicht mit Weisheiten und wertvollen Erkenntnissen der Lern- und Hirnforschung verknüpft werden. Der zweite sachliche Teil des Buches lüftet wichtiges Grundwissen in sechs einzelnen Kapiteln. So verhilft das Buch zu einer neuen Sicht auf Mathe und auf die eigenen Möglichkeiten, Mathe zu lernen. Und diese neue Sicht öffnet Türen, ist Nährboden und kann Lerneinstellungen, Lernverhalten sowie das Lernen selbst beflügeln.
In meiner lerntherapeutischen Arbeit lerne ich immerzu Neues aus der Hirn- und Lernforschung und vor allem von den Kindern selbst. Jedes von ihnen hat eine eigene Lerngeschichte und geht einen eigenen Lernweg, aber die meisten eint die Tatsache, dass die erlernte Vorstellung von Mathe und von den eigenen mathematischen Möglichkeiten getrübt, belastet, gehemmt, ver- bzw. gestört ist.
Gemeinsam entdecken wir dann, dass ihre Vorstellung eigentlich unfair und sogar hinderlich ist, so nicht sein muss und gut gewandelt werden kann. So entstand die Idee zum Buch: Viel mehr Kinder als wir denken, könnten mit ihrer Neugier, Experimentierfreude und Lernpower mit gutem Gefühl gut Mathe lernen. Natürlich wird es immer Unterschiede geben, aber wir sollten offenbleiben, denn die Ursachen für (zeitweise) Schwierigkeiten können auf vielen Seiten liegen und Lernwege haben immense Möglichkeiten. Ein Beispiel, das nachdenklich macht:
„Maryam Mirzakhani war die erste Frau, die die Fields-Medaille erhielt. Das ist die höchste Auszeichnung in Mathe, vergleichbar mit dem bekannten Nobelpreis. Da war sie 37 Jahre alt. Als junge Schülerin aber musste sie von einer Lehrkraft hören, dass sie angeblich kein Mathetalent habe. Zum Glück blieb sie am Ball und ließ sich davon nicht beeinflussen!“ (aus Tinas AHA)
Mit „Tinas Aha!“ möchte ich Wege aufzeigen, wie wir den Nährboden und das Lernumfeld gestalten müssen. Dies sind wertvolle Ansatzpunkte für einen hilfreichen und erfolgreichen Matheunterricht, die neben sehr guten didaktischen und methodischen Lehrkonzepten (siehe Pikas, Mathe2000) bedacht werden sollten. Ich fasse sie hier zu drei starken Einsichten zusammen:
Fakt 1 „Unser Gehirn lernt alles und immer“
„... Forscher haben erst vor einigen Jahren festgestellt: Unser Gehirn ist „plastisch“. Was bedeutet das genau? Früher dachte man, das Gehirn wächst bis zum jungen Erwachsenenalter und ist dann sozusagen „fertig“. Aber nein, dein Gehirn ist von Anfang an und ein Leben lang plastisch. Mit anderen Worten: Dein Gehirn ist in jedem Moment aktiv, passt sich an, wächst, verändert und entwickelt sich. ... Während du etwas tust, ausprobierst, übst, besprichst oder beobachtest, ist dein Gehirn immer dabei, es arbeitet mit. Das Geheimnis sind seine sogenannten Neuronen. ... Benutzte, aktivierte Neuronen werden stärker, verbinden und verzweigen sich, Nachbarneuronen werden auch aktiviert und gestärkt, und letztlich wächst unser ganzes Gehirn. ... Manfred Spitzer, ein bekannter Hirnforscher, vergleicht den Ausbau des neuronalen Netzes in unserem Gehirn mit „Spuren im Schnee“: Gehst du eine Strecke einmal, dann bleiben dort wenige Spuren zurück, die auch schnell wieder verschwinden können. Aber je öfter du diese Strecke gehst, desto eher wird die Spur im Schnee zu einem deutlichen, hilfreichen und verlässlichen Weg. ...“ (aus Tinas AHA)
Diese Hirnplastizität ist eine der wichtigsten Entdeckungen des 20. Jahrhunderts. Sie hat richtungsweisende Einflüsse auf unser Lernen und Leben, denn offenbar lernen wir immerzu und alles; Lernen ist unsere Superpower!
Und jetzt denken Sie womöglich, manches Mal scheint es eher nicht so? Nun, in eher unangenehmen, hemmenden Lernsituationen und bei negativen Erfahrungen lernt unser Gehirn über seine natürliche Plastizität eben genau das: Achtung, das ist nicht gut, vermeiden oder fluchtbereit sein! In diesen Momenten wird Denken, Wissensabruf oder Kreativität regelrecht blockiert und zwar womöglich nachhaltig, Prof. Gerald Hüther (1) sagt: „Angst lähmt.“
Also ist es umso wichtiger, hirngerecht zu lehren: Wie kann der Unterricht die Hirnplastizität – die natürlicherweise stattfindenden Lern- und Entwicklungsprozesse – sinnvoll anregen? Dazu sind heute bereits folgende Ansatzpunkte bekannt:
- Mindset oder Selbstbild
- Sprache und Fehlerkultur
- Entwicklung durch Erfahrungen
Für den Matheunterricht bzw. das alltägliche Mathelernen von Anfang an ergeben sich also wertvolle Möglichkeiten, unserem plastischen Gehirn den Weg zu ebnen:
- Es gilt, hilfreiche, entwicklungsgerechte Erfahrungen zu bieten, da unser Gehirn solche bestens aufnehmen und verarbeiten kann. Im Sinne von Lew Vygotsky folgt hilfreicher Matheunterricht der „Zone der nächsten Entwicklung“, denn Lernen findet statt, wenn ein Mensch eine hinreichend große Herausforderung zu meistern hat, die weder unter- noch überfordert.
Auch John Hattie’s Studien der Erfolgsfaktoren von Lehre erkennt „Piaget-orientierte Lehrmethoden“ (2) als besonders wirkungsvoll für den Lernerfolg und nennt beispielhafte Praktiken: Man konzentriere sich weniger auf das Ergebnis als vielmehr auf den Denkprozess. Man versuche wahrzunehmen, wie Schüler/innen (über sich und das Lernen) denken, um im Dialog hierauf eingehen zu können. - Es gilt, den Schülerinnen und Schülern die Möglichkeit zu bieten, die wundervolle Mathematik entdecken zu dürfen und davon angesteckt zu werden.
Unser Gehirn springt mit Leichtigkeit an bei neuen, kuriosen und relevanten Inhalten. In Mathe gibt es so viel Wunderbares zu entdecken, Schnelligkeit und Auswendiglernen darf hier keine markante Rolle spielen (siehe auch den Blog-Artikel „Zwei mal drei macht vier, Widdewiddewitt“, lacht Pippi, aber das Einmaleins ist oft gar nicht lustig!“). Der Ansatzpunkt ist also: welche mathematischen Fragen, Aufgaben, Übungen und Lerndialoge bieten wir an? Wie erkennen und adressieren wir den aktuellen Stand der Schülerinnen und Schüler bzw. die Zone der nächsten Entwicklung (Lerndialoge, Screenings)? Wie machen wir die Muster, Erfindungen, Zusammenhänge, Techniken, etc. der Mathematik erfahrbar und lassen sie erobern? - Es gilt, sehr bewusst auf eine inspirierende und förderliche Sprache für Mathelernen zu achten.
John Hattie (3) verwies in seinen Studien auf die für erfolgreiches Lernen so große Rolle der Lernbeziehung und des Feedbacks. Sprache verbindet und wirkt, Worte haben Macht und aktivieren neuronale Strukturen ... bestenfalls für gutes Lernen.
Schon kleine Veränderungen haben eine große Wirkung: Sagen wir zum Beispiel „da bist du NOCH(!) nicht so weit, aber daran arbeitest du super“, so hat unser Gehirn beste Lern- und Denkbedingungen, kein Stress mit neuronalen Fluchtprogrammen, sondern ein sicheres Gefühl und eine gut verständliche Richtung. Es ist klar, dass eine konstruktive Fehler- und Feedbackkultur der goldene Kern einer förderlichen Sprache im Unterricht ist.
Hilfreiches Feedback und Interesse an Fehleranalyse bieten wichtige Lernimpulse.
„Fehler sind Freunde“ und entsprechend muss gesprochen und gearbeitet werden, alltäglich und immerzu. Der Ansatzpunkt ist also: Wie sprechen wir über Zahlen, Rechnen und Mathe, über Anstrengung und Hindernisse, über Übungen und individuelle Lernfortschritte? Wie sprechen wir miteinander, geben Feedback und arbeiten mit Fehlern? Welche Worte nutzen wir, welche sollten wir nutzen? Wie üben wir eine hilfreiche Sprache?
Fakt 2 „Wir haben den Zahlensinn in unseren Genen“
Dieses Wichtige vorab: die Forschung über „was, wie und warum?“ im Bereich Mathelernen – inkl. Zahlensinn (number sense), Rechenschwäche und Rechenstörung/Dyskalkulie – steckt noch in den Kinderschuhen.
Wissenschaftler beteiligter Fachrichtungen (Pädagogik, Psychologie, Kognition) weisen darauf hin, dass Studien oft nicht vergleichbar sind hinsichtlich ihrer Interpretation von Begriffen sowie ihrer Abgrenzung von Eigenschaften, Kennwerte und Teilnehmerschaft. So können wir nur mit Bedacht vorsichtige Schlüsse aus den Ergebnissen ziehen.
Ein Lichtblick: die S3-Richtlinie „Diagnostik und Behandlung der Rechenstörung“ (4) hat moderne Diagnose- und Förderprogramme hinsichtlich ihrer nachgewiesenen Wirksamkeit bewertet, sodass die Spreu vom Weizen unterschieden werden kann. Klar bleibt: jedes Programm ist immer so gut, wie die es einsetzende Fachkraft. Die Dyskalkulie-Testbatterien bemessen den Leistungsstand eines Kindes und sagen nichts über Ursachen aus. Es liegt in den Händen der Fachleute, einen ganzheitlichen Blick auf das Kind und dessen Schwierigkeiten zu haben und so z. B. sensorische Einschränkungen oder eine mangelhafte Beschulung mitzuberücksichtigen. Es ist wichtig, die Themen und Methoden gut zu verstehen, um sie mit fürsorglicher Vorsicht in die Arbeit mit Kindern einfließen zu lassen.
Nun zum Thema „Zahlensinn“. In der Forschung zeigen sich offenbar drei Perspektiven auf das Konzept (5):
- Der angeborene, natürliche Zahlensinn (“approximate number sense“)
- Der schulische Zahlensinn (“early number sense“)
- Der Teenager-Zahlensinn (“mature number sense“)
Auf den Punkt gebracht, zeigt sich „der angeborene Zahlensinn“ bereits ab dem Babyalter in der Fähigkeit, Mengen/Anzahlen, ihre Unterschiede und Veränderungen wahrnehmen und abschätzen zu können. Die Forschung von Stanislas Dehaene (6) hat hierzu wichtige Erkenntnisse geschaffen. Schließlich hat sich gezeigt, dass dieser angeborene, ungefähre Zahlensinn Hand in Hand geht mit den visuell-räumlichen Fähigkeiten und dem Arbeitsgedächtnis und dass frühkindliche Erfahrungen ihn maßgeblich prägen. Es lohnt sich also, schon sehr früh alltägliche, kindgerechte Erfahrungen zu bieten mit Mengen, Vergleichen, Schätzen, Zahlen und Zählen.
Bereits vor der Schule beginnt für jedes Kind die Eroberung der kulturellen Mathematik. Fachmännische Lernbegleitung hat einen wesentlichen Einfluss auf die Entwicklung des nun anknüpfenden, frühen Zahlensinns. Einsichten und Fähigkeiten, die sich nun entwickeln, gehen weit über den natürlichen Zahlensinn hinaus, bauen allerdings auf ihm auf. Dazu zählen u. a. flexibles Zählen und Messen, Kardinal- und Ordinalverständnis und Operationsverständnis. Die Forschung in diesem Bereich konzentriert sich vor allem auf Indikatoren zur Früherkennung des Entwicklungsstandes (Screenings, Diagnostik) sowie auf Fördermöglichkeiten. Die frühe mathematische Lehre sollte den angeborenen Zahlensinn unbedingt ansprechen und einbeziehen, denn er ist markant verknüpft mit dem flexiblen Sehen von und Umgang mit Zahlen und Beziehungen.
Nun diskutieren Forscherinnen und Forscher auch den reifen Zahlensinn der nächsten Etappe der Entwicklung mathematischer Fähigkeiten. Hierbei geht es um ausgereifteres mathematisches Denkvermögen inkl. Lösungsstrategien, Hinterfragen/Begründen/ Beweisen, Anwendung und Transfer von Konzepten und Techniken. Hierbei ist interessant, dass diese Fähigkeiten nicht in direkter, expliziter Form gelehrt, sondern vielmehr eingeübt werden müssen mittels mathematischer Herausforderungen, Übungen und Gespräche. Ein „blindes Erlernen“ von Rechenfakten und -techniken schult diese Kompetenzen nicht.
In Anbetracht dieser drei Blickwinkel auf den Zahlensinn sollten wir ihn als Ausgangspunkt mathematischen Erfahrens und Lernens sowie als Entwicklungsinhalt und -ziel des Matheunterrichts erkennen. So können wir das natürliche Vermögen zu Beginn nutzen, um den Umgang mit Mengen auszuleben, im Detail zu erfahren und sprachlich zu klären bzw. zu verankern. Hieran knüpft natürlicherweise die weitere Schulung des frühen Zahlensinns an, während über anregende Lernumgebungen und Lerndialoge das mathematische Denken stetig entwickelt und gestärkt werden kann.
Fakt 3 „Mathe-Mythen verursachen Lernstörungen“
Es gibt eine Reihe von Mathe-Mythen, die erfolgreiches Mathelernen behindern und sogar stören können. Die Lernforschung hat gezeigt, dass all diese Mythen markante Effekte auf das Lernen bzw. auf Denk- und Lernprozesse unseres Gehirns haben. Sie wirken wie Missverständnisse oder Selbstzweifel desorientierend, demotivierend oder Stress auslösend und stören auf diese Weise neuronale Netzwerke, die für logisches Denken, Wissensabruf, Kreativität, exekutive Funktionen etc. aktiviert werden sollten. Der erste wichtige Schritt ist es, diese Mathe-Mythen zu entlarven. Forscher (7) gruppieren unterschiedlichste Mathe-Vorstellungen bzw. Glaubenssätze:
- das Mathe-Selbstbild („offenes Selbstbild“ statt Mythos „Zahlenmensch“)
- der fachliche Matheunterricht („richtig oder falsch“, „immer schnell und richtig“)
- die Mathematik als Disziplin
Im Rahmen dieses Beitrags möchte ich auf die beiden Aspekte eingehen. Interessanterweise fällt bei dem dritten Aspekt in Studien auf, dass viele Schülerinnen und Schüler die Mathematik als Disziplin nur schwer erläutern können. Warum eigentlich?
Zum Mathe-Selbstbild ...
„... Jeder von uns hat eine Einstellung zu sich selbst und dem eigenen Lernen, hat also ein Selbstbild von sich selbst als Lernender. Es bildet sich im Lauf unserer Lebensjahre und ist uns oft nicht bewusst. Carol Dweck hat herausgefunden, dass jeder entweder eher ein „festes Selbstbild“ oder eher ein „offenes Selbstbild“ hat. ...“ (aus Tinas AHA!)
Der alte Talentglaube für Mathe bzw., so etwas wie „Zahlenmensch“ zu sein, spielt hier unheilvoll hinein.
Allerdings wurde es mehrfach widerlegt: es ist falsch, es gibt kein Mathetalent, das bestimmt was und wie weit wir lernen können. Lernfortschritte in Mathe hängen nachgewiesenermaßen von hilfreichen Erfahrungen, wirksamer Lehre und ausdauerndem Lernengagement ab. Interessant ist allerdings, wie persistent der Mythos Mathetalent ist. Alarmierend ist, wie sehr er das Mathelernen stören kann (8). Schülerinnen und Schüler, die den Talentglauben verinnerlicht haben, zeigen in Studien deutliche Leistungsschwächen (5). Hier müssen wir den Nährboden bereiten und bei allen Schülerinnen und Schülern ein „offenes Selbstbild“ (growth mindset nach Carol Dweck) im Sinne ihrer „Lernklarheit“ fördern:
- Man weiß, dass das Gehirn wächst und man Mathe lernen kann mit Einsatz, Ausdauer und Hilfe.
- Man arbeitet aktiv an den Inhalten, hat ein klares Ziel vor Augen, ist hartnäckig und engagiert.
- Man wagt Neues, gibt nicht auf und arbeitet auch bei Schwierigkeiten weiter.
- Man sieht Misserfolge, Fehler, knifflige Aufgaben als Chancen, weiterzulernen und zu wachsen.
Es geht hierbei regelrecht um Hirnaufklärung und stärkende Lernerfahrungen: wie lernt unser Gehirn bzw. blockiert der falsche Talent-Mythos gutes Lernen. Forscher (9) haben herausgefunden, dass Schülerinnen und Schüler ein offenes Selbstbild entwickeln können und sodann auch messbare Lernzuwächse zeigen.
Der Ansatzpunkt ist also: Wie klären wir in der Schule über Gehirn und Lernen auf? Wie können wir im Unterricht diese Einsichten vorleben, fördern, stärken? Natürlich reicht es nicht aus, den Schülerinnen und Schülern nur mitzuteilen, dass Mathe-Mythen Schuld seien an möglichen Lern- bzw. Leistungsschwächen. Sie müssen dies in wirksamen Lernumgebungen selbst erleben dürfen.
Nun wird es interessant, denn in hilfreichen, wirksamen Lernumgebungen lassen sich gleich mehrere Mythen mit einer Klappe erwischen:
- Lernerfahrungen wie die stete Suche nach und Wertschätzung von diversen Lösungsideen,
- das Anstreben gekonnter mathematischer Erklärungen/Begründungen sowie
- die Anerkennung von kollaborativer mathematischer Modellierung und Problemlösung lässt definitiv überholte Praktiken und damit verbundene Vorstellungen verblassen, wie z. B. die genannten Mathe-Mythen „es geht nur um Regeln und um richtig-oder-falsch“ sowie „man ist gut, wenn man alles schnell und richtig macht“.
An dieser Stelle stelle ich gern ein wunderbares Beispiel für die Problematik persistierender Mathe-Mythen mit Einfluss auf das Mathe-Selbstbild vor: Laurent Schwartz (*1915). Er beschreibt sein Unbehagen während seiner Mathe-Schulzeit:
“Ich war immer sehr unsicher und dachte, ich sei nur wenig intelligent. Ich bin eher langsam, weil ich alles immer genau verstehen möchte. Gegen Ende der elften Klasse, dachte ich von mir selbst, ich sei einfach dumm. Aber ich erkannte, dass Schnelligkeit nichts mit Intelligenz zu tun hat. Wichtig ist, Dinge tief zu verstehen und ihre Beziehungen zu erkennen. Das ist wo Intelligenz ins Spiel kommt. Schnell oder langsam zu sein ist nicht relevant.” (10)
Auch er blieb zum Glück lerneifrig, wurde Mathematiker und erhielt die Fields Medaille!
Dieser Blick auf Mathelernen hat es in sich und ist es wert: viel mehr Schülerinnen und Schüler als heute üblich, könnten Mathe gut lernen und das mit Erfolg und Spaß. In diversen Klassen ist es sicherlich der Fall, wo die „kleinen Mathematikerinnen und Methmatiker“ entsprechend hilfreich und wirksam abgeholt und begleitet werden, wo ihr mathematisches Denken gedeihen kann. Hier und überall brauchen wir diesen frischen Wind in den Segeln.
Volle Kraft voraus & Happy Lernen!
Marion Mohnhaupt: Tinas AHA! Mathe lernen geht! Lass dein Gehirn mal machen!, Visual Books 2021.
Quellen
(1) Hüther, Gerald: Gehirnforschung für Kinder – Felix und Feline entdecken das Gehirn. Kösel-Verlag, 2009
(2) https://visible-learning.org/wp-content/uploads/2013/02/Glossar-fuer-Begriffe-aus-der-Hattie-Studie-Visible-Learning-Lernen-sichtbar-machen.pdf, 09.08.21
(3) John Hatti, Lernen sichtbar machen für Lehrpersonen. Schneider Verlag, Hohengehren 2014
(4) https://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/028-046l_S3_Rechenstörung-2018-03_1.pdf, 10.8.21
(5) Whitacre, I. et al: Disentangling the Research Literature on Number Sense: Three Constructs, One Name. 2020 AERA. http://rer.aera.net
(6) Dehaene, S.: http://www.gbv.de/dms/hebis-darmstadt/toc/62660128.pdf, 12.8.21
(7) Jankvist, U., Niss, M.: Counteracting destructive student misconceptions of mathematics. Education sciences, 2018.
(8) Chestnut E. et al: The Myth That Only Brilliant People Are Good at Math and Its Implications for Diversity. Education Sciences. 2018. https://doi.org/10.3390/educsci8020065
(9) Boaler, Jo: Mathematical Mindsets: Unleashing student’s potential through creative math. Jossey-Bass, 2015. Dweck, Carol: Selbstbild : Wie unser Denken Erfolge oder Niederlagen bewirkt. Piper, 2017.
(10) Schwartz, L. (2001). A Mathematician Grappling with His Century, Birkhäuser sowie in: Tinas AHA!
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