Warum Lerntherapie an der Schule so wichtig ist
Robert Kneschke – stock.adobe.com
Neue Wege für gestärkte Schülerinnen und Schüler
Damit Schülerinnen und Schüler mit besonderen Schwierigkeiten beim Erwerb des Lesens, Schreibens und Rechnens in der Schule nicht mehr im Regen stehen gelassen werden, ist jetzt der Zeitpunkt gekommen, neue Wege zu gehen.
Lerntherapeutinnen und Lerntherapeuten an Schulen? Geht das überhaupt? Was machen diese überhaupt und wer finanziert das Ganze? Sie erfahren hier, warum Lerntherapie in Schulen Vorteile für Schülerinnen und Schüler, Eltern, aber auch Lehrkräfte bietet.
Ich habe hier die häufigsten Fragen zusammengestellt, die mich tagtäglich erreichen, wenn ich von meiner Arbeit als selbständige Lerntherapeutin, aber auch als Lehrkraft/Lerntherapeutin an der Grundschule berichte.
- Was ist integrative Lerntherapie?
- Welche Möglichkeiten gibt es, Lerntherapeut:in zu werden?
- Welche Aufgaben haben Lerntherapeut:innen an Schulen?
- Welche Vorteile bringt die Lerntherapie in der Schule?
- Wie wird die Lerntherapie in der Schule finanziert?
- Individuelle Förderung und Etablierung von Lerntherapie an Schulen
Was ist integrative Lerntherapie? Was macht ein Lerntherapeut/eine Lerntherapeutin?
Wenn Schülerinnen und Schüler beim Erwerb des Lesens, (Recht)-Schreibens oder Rechnens Schwierigkeiten haben, wird ganz oft klassisch Nachhilfe empfohlen. Von Nachhilfe hat jeder schon einmal gehört. Die integrative Lerntherapie ist leider viel weniger bekannt.
Nachhilfe ist für Schülerinnen und Schüler geeignet, die Schulstoff aufholen möchten, die mehr Begleitung benötigen oder Unterstützung bei den Hausaufgaben. Das erhoffte Ziel: bessere Noten.
Eine integrative Lerntherapie ist eine pädagogische/psychologische Förderung für Schülerinnen und Schüler mit gravierenden Schwierigkeiten beim Lesen, Schreiben und/oder Rechnen. Mithilfe einer ausführlichen Förderdiagnostik wird herausgefunden, wo genau die Schwierigkeiten liegen. Darauf aufbauend wird ein Förderplan erstellt und mittels kontinuierlicher Verlaufsdiagnostik die Förderung immer wieder reflektiert und angepasst. Lerntherapeutinnen und Lerntherapeuten orientieren sich an den individuellen Lernvoraussetzungen, an den Bedürfnissen, aber insbesondere auch an den Stärken des Kindes.
In der lerntherapeutischen Förderung werden sowohl die Familie, die schulischen Ansprechpartnerinnen und -partner als auch weitere Beteiligte (Ergotherapeutin/Ergotherapeut, Kinder- und Jugendpsychiaterin/-psychiater etc.) mit in die Hilfe einbezogen. Lerntherapie ist damit immer ganzheitlich und findet klassisch in Einzelförderung statt.
Welche Möglichkeiten gibt es, Lerntherapeutin/Lerntherapeut zu werden?
Es gibt verschiedene Möglichkeiten, Lerntherapeutin/Lerntherapeut zu werden. Momentan gibt es leider noch kein anerkanntes Berufsbild, damit ist auch der Begriff „Lerntherapeut/Lerntherapeutin“ nicht geschützt.
Der BLT – Berufsverband für Lerntherapeut*innen e.V. – und der FiL – Fachverband für integrative Lerntherapie e.V. – haben jedoch vor kurzem über einen ersten Rahmen für ein gemeinsames Berufsbild für Lerntherapeutinnen und Lerntherapeuten abgestimmt.
Material zur Förderung bei Dyskalkulie
In der Betzold Beratung erhalten Sie eine übersichtliche Zusammenstellung passender Übungsmaterialien:
In der Regel haben Lerntherapeutinnen und Lerntherapeuten eine pädagogische, psychologische oder therapeutische Grundqualifikation in Form eines Hochschulstudiums oder eine pädagogische/therapeutische Grundausbildung und darauf aufbauend eine Zusatzausbildung als Lerntherapeutin/Lerntherapeut. Diese Zusatzausbildung kann im Rahmen einer vom FiL bzw. vom Bundesverband Legasthenie und Dyskalkulie e.V. (BVL) anerkannten Ausbildung erfolgen. Es gibt aber auch die Möglichkeit, Lerntherapie berufsbegleitend zu studieren (Bachelor/Master).
Welche Aufgaben haben Lerntherapeutinnen und Lerntherapeuten an Schulen?
Lerntherapeutinnen und Lerntherapeuten arbeiten als Honorarkraft oder auch festangestellt als Teil eines multiprofessionellen Teams.
Dabei gibt es unterschiedliche Schwerpunkte: Der Fokus kann auf der individuellen Förderung von Schülerinnen und Schülern im Einzelsetting oder Kleingruppen sein oder der Schwerpunkt der Arbeit liegt in der Beratung der Lehrkräfte und/oder der pädagogischen Fachkräfte (Ganztagsteam).
So können Lerntherapeutinnen und Lerntherapeuten an Schulen unterstützen:
- Individuelle Förderung von Schülerinnen und Schülern im Einzelsetting oder in der Kleingruppenförderung (Mathe/Deutsch, aber auch Selbstwertstärkung, emotionale Stärkung, Training zur Verbesserung der Aufmerksamkeit/Konzentration)
- Leitung und Koordination von Fallkonferenzen
- Einzelfallberatung
- Empfehlungen und Tipps zur Förderdiagnostik oder zu konkreten Unterrichtsmaterialien
- Beratung von Lehrkräften zum Nachteilsausgleich oder Notenschutz
- Fortbildungen
- Leseförderung am Nachmittag (z. B. im Ganztag)
Welche Vorteile bringt die Lerntherapie in der Schule?
Neben verschiedenen Vorteilen für die Schülerinnen und Schüler sowie die Eltern (präventive Förderung, zeitnaher Beginn der Förderung, niederschwelliges Angebot), profitieren auch Lehrkräfte von einer Kooperation mit Lerntherapeuten und Lerntherapeutinnen an Schulen.
Ich möchte hier einige Vorteile aufzeigen.
- Zeitliche und fachliche Entlastung – mehr Zeit für den Unterricht, da sich der Lerntherapeut/die Lerntherapeutin in der Schule die Zeit für die Schülerinnen und Schüler mit Lernschwierigkeiten nehmen kann und auch konkrete Tipps für die Unterstützung im Klassenverband geben kann
- Gemeinsame Förderplangestaltung
- Ansprechpartnerin/Ansprechpartner für Lernstörungen ist vor Ort – Austausch auf kurzem Weg ohne lange Wartezeiten
- Interne Weiterbildung des Lehr-Kollegiums (interne Fortbildungen oder Seminare, aber auch immer wieder kurze „Tür-und-Angel-Gespräche“)
- Wenn der Lerntherapeut/die Lerntherapeutin direkt an der Schule arbeitet, kennt er/sie die internen Abläufe, die Lehrkräfte, die Schülerinnen und Schüler und kann so individuell und passgenau beraten – das erspart den Lehrerinnen und Lehrern viel Zeit
- Elterngespräche können gemeinsam von Lehrkräften und Lerntherapeutinnen und Lerntherapeuten geführt werden (emotionale und fachliche Entlastung)
- Es entsteht ein größeres Bewusstsein und Verständnis für die Belange von Schülerinnen und Schülern mit Lernschwierigkeiten
Weitere Vorteile und Erfahrungen von meiner Arbeit an der Grundschule sind hier zu finden.
Wie wird die Lerntherapie in der Schule finanziert?
Die Finanzierung von Lerntherapeutinnen und Lerntherapeuten an Schulen ist meist nur kurzfristig gesichert. Manchmal sind Finanzierungen über Stiftungen, die Gemeinde, Vereine oder das Jugendamt möglich.
Grundsätzlich fehlen jedoch feste Rahmenbedingungen, um Lerntherapeutinnen und Lerntherapeuten an Schulen dauerhaft zu beschäftigen und damit Schüler und Schülerinnen zu fördern und Lehrkräfte zu entlasten.
Was braucht es, um Schülerinnen und Schüler individuell zu fördern und Lerntherapie als fester Bestandteil an Schulen zu etablieren?
Es müssen Rahmenbedingungen und Strukturen geschaffen werden, um den Lernort Schule zu stärken. Wenn sich Eltern eine externe außerschulische Förderung für ihre Kinder nicht leisten können, dürfen sie nicht alleingelassen werden. Es ist Aufgabe der Schule, individuell zu fördern und passende Angebote am Lernort Schule zu etablieren. Aufgrund Lehrermangels werden Eltern, deren Kinder eine Lese-Rechtschreib-Schwäche oder Rechenstörung haben, jedoch immer mehr auf außerschulische (kostenpflichtige) Angebote verwiesen.
Außerdem sollte sich noch mehr das Bewusstsein entwickeln, dass aufgrund wachsender Heterogenität der Schülerinnen und Schüler Lehrkräfte nicht alles an Wissen mitbringen können, was im Einzelfall für den Schüler/die Schülerin nötig wäre, und damit Lerntherapeutinnen und Lerntherapeuten als fester Bestandteil eines multiprofessionellen Teams an Schulen dringend benötigt werden.
Multiprofessionelle Teams und damit ergänzendes Fachwissen von Lerntherapeutinnen/Lerntherapeuten, Heilpädagoginnen/ Heilpädagogen, Psychologinnen/Psychologen sind eine große Bereicherung, das zeigen verschiedene erfolgreiche Projekte.
Was wir brauchen, um Lerntherapie an Schulen zu etablieren und Schülerinnen und Schüler individuell zu fördern:
- Schulleitungen, mit einer Offenheit für Neues und einem Verständnis, welche fachliche Bereicherung Lerntherapeutinnen und Lerntherapeuten und andere Fachexpertinnen und -experten an Schulen mit sich bringen
- MUT: Wir brauchen alle mehr Mut, um uns von gewachsenen Strukturen zu verabschieden und neue Wege zu gehen
- Fortbildungen für Lehrkräfte, um Hintergrundwissen zu Legasthenie und Dyskalkulie zu erlangen
- Personelle und finanzielle Ressourcen, damit Inklusion und individuelle Förderung gelingen kann
Eine lerntherapeutische Expertise erreicht alle Schülerinnen und Schüler. Das Expertenwissen, welches Lerntherapeutinnen und Lerntherapeuten mitbringen, hilft nicht nur Kindern mit einer LRS oder Rechenschwäche, sondern allen Schülerinnen und Schülern am Lernort Schule. Wir müssen endlich neue Wege gehen, für mehr Bildungsgerechtigkeit, eine Entlastung des Kollegiums und eine fachlich hochqualifizierte individuelle Förderung von Schülerinnen und Schülern.
Wir können den Wind nicht ändern, aber die Segel anders setzen.
Weitere Infos zu Lerntherapien in der Schule und Fortbildungen zu LRS und Rechenschwäche finden Sie auf der Website von Susanne Seyfried.
Literaturhinweise
- Bender, F., Brandelik, K., Jeske, K., Lipka, M., Löffler, C., Mannhaupt, G. et al. (2017): Die integrative Lerntherapie. Lernen und Lernstörungen, 6
- b&w (Mitgliederzeitschrift der GEW - Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft Baden-Württemberg) S. 17-24, Juli/August 2022, „Lerntherapie in der Schule - ein Angebot für alle?“
- Hilkenmeier, J., Ricken, G., Nolte, M. & Ehlers, A. (2020): Lerntherapie in Schule. Eine Bestandsaufnahme zu Kooperationsprozessen. Lernen und Lernstörungen, 9 (4)
- „Integrative Lerntherapie“. In: Wikipedia – Die freie Enzyklopädie. (Abgerufen: 12. September 2022)
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