Der offene Kindergarten - Chaos pur oder Raum für Entwicklung?
Janus Korczak (polnischer Kinderarzt, Kinderbuchautor und Pädagoge)
Eine Idee aus den 1970er-Jahren öffnet seit ihrer Entstehung Türen und Arbeitsabläufe in Kindertageseinrichtungen. Wer bei der offenen Arbeit an Chaos, Lärm und fehlende Geborgenheit denkt, hat ein einseitiges, negativ behaftetes Bild von dieser Art der pädagogischen Arbeit. Während die geschlossene Gruppenarbeit die Erzieherinnen und Erzieher als Impulsgeber und anleitende Lenker der kindlichen Entwicklung sah, wendet sich diese Einstellung mit dem offenen Konzept um 180 Grad. In offenen Kindertageseinrichtungen sind Kinder selbstbestimmte Gestalter ihrer eigenen Stärken und Interessen. Pädagogische Fachkräfte stehen den Kindern hierbei unterstützend zur Seite. Die offene Arbeit in Kindergarten und Kita beschreibt ein Konzept, bei dem Inklusion, Integration und Partizipation im Mittelpunkt stehen.
Was ist offene Arbeit in Kindergarten und Kita?
Unter der offenen Arbeit in Kindergarten und Kita versteht man einen situationsbedingten, partizipatorischen Ansatz, der es zum Ziel hat, die vorhandene Neugier der Kinder zu fördern. Ähnlich wie in der Reggio-Pädagogik liegt auch bei offenen Arbeit die Annahme zugrunde, dass jedem Kind ein eigener, stark ausgeprägter Lernwille innewohnt, der durch freie Entwicklung und individuelle Entfaltung am besten ausgelebt werden kann. Soweit die theoretischen Grundlagen.
In der Praxis bedeutet das:
- Gruppenübergreifendes Arbeiten
- Umwandlung der Gruppenräume in Funktionsräume
- Kinder erleben die 4 Freiheiten des Spiels: Was, Wann, Wo, Wie lang
- Außen- und Innenbereich der Kindertagesstätte sind gleichwertig
Ziele der offenen Arbeit
Ziel ist eine Art offen gelebter Partizipationsgedanke. Wie schon von Maria Montessori angeregt, soll dem kindlichen Entfaltungsdrang der notwendige Raum gegeben werden. Kinder sind die Motoren ihrer eigenen Entwicklung und wissen als Experten ihrer individuellen Interessen ganz genau, welche Kenntnisse sie wann erlernen, vertiefen und entdecken.
Ein weiteres Ziel des offenen Konzepts ist eine komplette Flexibilisierung der pädagogischen Arbeit. Erzieherinnen und Erzieher müssen sich auf das Konzept einlassen, um ihre Aufgaben bestmöglich zu erfüllen. Ein Festhalten an alten Abläufen steht der notwendigen kooperativen Zusammenarbeit untereinander im Weg.
Herausforderungen für pädagogische Fachkräfte
Eine der größten Herausforderungen für pädagogische Fachkräfte ist das bereits erwähnte Loslassen etablierter Arbeitsabläufe. Wer den vermeintlich sicheren Hafen der gruppenbezogenen Arbeit verlässt, muss sich auf eine gute Kommunikation untereinander verlassen können. Die verbindliche Absprache zwischen den pädagogischen Fachkräften ist der Schlüsselfaktor für eine erfolgreiche offene Arbeit. Wenn alle an einem Strang ziehen und ihre Ideen nacheinander und nicht gleichzeitig umsetzen, können alle Beteiligten von der neuen Situation profitieren.
- Umdenken von Gruppenverantwortlichkeit auf Verantwortlichkeit für einen Funktionsraum
- enge Absprache mit Kolleginnen und Kollegen
- ein offenes Ohr für alle Kinder und unter Umständen auch für die dazugehörigen Eltern
- Priorisierung pädagogischer Ideen
Wie Erzieherinnen und Erzieher ihre Arbeit in einem offenen Kindergarten empfinden, hängt zum Teil auch davon ab, ob sie starr einem Funktionsraum zugeordnet sind, oder ob sie in einem rotierenden System in wöchentlichem oder 2-wöchentlichem Abstand für einen anderen Raum und die dort aktiven Kinder verantwortlich sind.
Tagesablauf in offenen Einrichtungen
In offenen Einrichtungen gibt es natürlich ebenfalls feste Tagesordnungspunkte, auch wenn sie sicher nicht so zahlreich sind, wie z. B. in einer teiloffenen Einrichtung. Diese Fixpunkte dienen der Orientierung und der Stabilität. Kurze gemeinsame Phasen dienen außerdem der weiteren Tagesplanung.
Die wichtigsten Säulen des Tages sind:
- Ankommen in der Kita
- Freispiel
- Tagesplanung/Morgenkreis
- Frühstück
- Freispiel/Angebote
- Abholzeit
- Mittagsruhe
- Freispiel/Angebote
- Abholzeit
Räumlichkeiten in offenen Kindergärten
Den Räumlichkeiten der Kindertageseinrichtungen kommen bei offenen Konzepten eine ganz besondere Rolle zu:
Das Prinzip des Gruppenraums wird abgeschafft. Stattdessen werden die vorhandenen Räume in Funktionsräume umgewandelt.
Das heißt, dass jeder Raum Heimat einer bestimmten Funktion im Tagesgeschehen oder einem bestimmten Aktivitätsbereich zugeordnet wird. Möglich sind hier unter anderem: Bewegungsraum, Essensraum, Forschungsraum, Bauraum, Puppenecke, Atelier/Kreativraum, Sinnesraum
Kritik
Jeder Prozess des Umdenkens erzeugt Kritikpunkte, die es zu hören gilt.
- Sensible und förderbedürftige Kinder könnten sich vernachlässigt fühlen.
- Steigerung der Lautstärke innerhalb der Einrichtung.
- Kindern wird eine Eigenverantwortung abverlangt, der sie noch nicht gewachsen sind.
- Für die Umsetzung wird eine große Menge an Räumen benötigt.
Vorteile
Die freie Entfaltung der Kinder in der offenen Arbeit gehört sicher zu den größten Vorteilen, die diese Art der pädagogischen Arbeit mit sich bringt. Allerdings ist das nicht der einzige Grund, das Konzept zu öffnen:
- Jeder kennt jeden (pädagogische Fachkräfte – Kinder, Kinder – Kinder).
- Es finden sich leichter soziale Gruppen mit gleichen Interessen.
- Inklusion wird hier vom Grundsatz her gelebt, da die Vielfalt und Individualität eines jeden Kindes beachtet und geschätzt wird.
Praxistipps und Alternativen
In der Praxis gibt es vor der Umstellung auf das offene Konzept einiges zu beachten und zu tun. Holen Sie, als Basis der Idee, alle Beteiligten ab und nehmen Sie sie mit an Bord. Kinder, Eltern, Kollegen und Träger wollen über Ziele und Absichten der offenen Arbeit informiert werden. Gerade bei der Raumplanung sollten die Kinder mit einbezogen werden. Würde man in der freien Wirtschaft von „Ownership“ sprechen, ist damit in der pädagogischen Arbeit der Begriff der Teilhabe zutreffend.
- Besprechen Sie im Team, welche Bildungsideen Sie umsetzen möchten.
- Integrieren Sie die Inhalte von Bildungsplänen in Ihr Konzept.
- Bilden Sie, wenn notwendig, eine Nestgruppe (da vor allem Krippenkinder Probleme mit offenen Konzepten haben können).
- Haben Sie Geduld – die Umstellung auf die offene Arbeit benötigt Zeit und ist mit vielen Zwischenschritten verbunden.
- Diskutieren Sie im Team – Harmonie steht der konstruktiven Entwicklung im Weg.
Als Alternative zu einer kompletten Öffnung, entscheiden sich viele Einrichtungen in der Kindertagesbetreuung heute zu einem teiloffenen Konzept. Das bedeutet, dass die Kinder nach wie vor Teil einer festen Gruppen sind, die festen Erzieherinnen und Erziehern zugeordnet sind. Diese Gruppenarbeit wird für bestimmte Zeitabschnitte des Tages aufgebrochen. Während dieser Zeit wird die komplette Einrichtung von allen zur freien Entfaltung genutzt.
Quellen:
www.nifbe.de
www.kindergartenpaedagogik.de
https://gemeinden.erzbistum-koeln.de
www.lwl.org
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