Schulsport in Deutschland
Zehn Jahre nach der SPRINT-Studie
Es gibt ein Stiefkind der Bildungspolitik unter den Schulfächern. Die Überschrift unseres Beitrags verrät es schon: Beim Sportunterricht besteht Handlungsbedarf.
Die Sportlehrerinnen und –lehrer unter Ihnen haben es wohl längst geahnt – endgültig belegt wurde es 2005 durch die SPRINT-Studie. SPRINT steht dabei für „Sportunterricht in Deutschland“- die Damen und Herren des Deutschen Sportbundes (DSB, heute DOSB = Deutscher olympischer Sportbund) waren bei der Namensfindung zur Studie sehr kreativ ;-)
Für den empirischen Teil der Studie wurden knapp 9.000 Schülerinnen und Schüler, etwa 4.400 Eltern und 1.700 Sportlehrerinnen und -lehrer befragt. Die Auswertung und Bearbeitung lag in den Händen von Forschungsgruppen der Deutschen Sporthochschule Köln, der Universitäten Augsburg, Duisburg-Essen, Frankfurt, Magdeburg und Paderborn.
Damit wurde für die SPRINT-Studie der bisher größte Datensatz zu dieser Thematik erstellt und fachkundig ausgewertet. Die Ergebnisse dieser Arbeit ermöglichten wichtige Erkenntnisse zur Qualität des Schulsports in Deutschland.
Seither sind zehn Jahre vergangen und uns interessiert, was sich getan hat. Dabei sind wir vor allem auf Ihre Einschätzung angewiesen! Inzwischen bringen wir nochmals die Erkenntnisse der SPRINT-Studie in Erinnerung:
Zielsetzung der SPRINT-Studie
Das Hauptaugenmerk der Wissenschaftler lag auf vier Forschungsmodulen:
- Auswertung der Lehrpläne des Fachs in den verschiedenen Bundesländern
- Bewertung der Sportstätten
- Beurteilung des Sportunterrichts aus der Perspektive von Schulleitung, Schülern, Lehrkräften und Eltern
- Qualität des außerunterrichtlichen Schulsports (Pausensport, Sportfeste, Wettkämpfe, Sport-Exkursionen)
Die empirische Erfassung des aktuellen Sportunterrichts aus Sicht der beteiligten Gruppen stellte das Kernstück der Untersuchung dar. Hier lag das Augenmerk vor allem auf folgenden Aspekten:
- Gewinnung umfangreicher Kenntnisse über den Alltag des Sportunterrichts vor Ort bezüglich Umfang, Inhalt und Organisationsformen
- Bereitstellung von grundlegenden personen- und berufsbezogenen Daten zu Sportlehrerinnen- und lehrern
- Erhebung der Rahmenbedingungen des Sportunterrichts hinsichtlich Struktur und seines Kontextes zur Schule
Ergebnisse der SPRINT-Studie
Die Gesamtleitung der Studie hatte Prof. em. Dr. Wolf-Dietrich Brettschneider von der Universität Paderborn inne. Sein offizielles Fazit zu den Ergebnissen ist ambivalent: „Der Sportunterricht in Deutschland ist weder besonders gut noch besonders schlecht. Er liegt irgendwo im Mittelfeld.“ Allerdings verwies er auch darauf, dass seine Daten im Bundesdurchschnitt beruhigender aussähen, als sie im Einzelfall seien.
Die Wissenschaftler um Prof. em. Brettschneider konnten aus den gewonnenen Daten folgende Erkenntnisse und Handlungsempfehlungen herausarbeiten:
1. Erkenntnisse im programmatischen Bereich:
- Die Anforderungen und Ansprüche der Richtlinien und Lehrpläne laufen in den einzelnen Bundesländern zu sehr auseinander.
- Aufgrund des großen Spektrums der Unterrichtsinhalte befürchten die Forscher, dass einzelne Themen eher willkürlich aneinandergereiht werden und keine klare Struktur gegeben ist. Der „Identitätskern“ des Fachs soll definiert und bewahrt werden.
- Sportunterricht ist inzwischen ein etabliertes Bildungsfach. Eltern, Schüler und Schulleitungen erkennen die Bedeutung des Fachs grundsätzlich an.
- Sportlehrer müssen mehr erreichen, als die Leistungsfähigkeit der Schüler in den verschiedenen Disziplinen zu verbessern: Sportunterricht soll Teamfähigkeit, Fairness, Rücksichtnahme und Durchhaltevermögen stärken, Talente genauso wie leistungsschwache Schüler fördern, zu außerschulischem Sport motivieren und den Einfluss von Sport und Bewegung auf die Gesundheit vermitteln.
Diese hohen pädagogischen Ansprüche können nur durch Fortbildungen der Kultusministerien und Schulämter zur methodischen und inhaltlichen Umsetzung eines „Erziehenden Sportunterrichts“ geleistet werden. An den Sportlehrerinnen und –lehrern wird es nicht scheitern: Die befragten Schulleiter attestieren ihnen ein hohes Fort- und Weiterbildungsengagement.
2. Erkenntnisse zu den Rahmenbedingungen des Sportunterrichts:
- Der Zustand vieler Schulsportstätten ist verbesserungswürdig. Besonders im Bereich Schwimmsportstätten herrscht Nachholbedarf. Die Qualität des Unterrichts und auch die Möglichkeit diesen v.a. aufgrund fehlender Schwimmbäder überhaupt abzuhalten, steht und fällt mit dem Zustand der Sportstätten.
- Der Anteil an sportwissenschaftlich ausgebildeten Fachkräften muss erhöht werden. In Grund- und Hauptschulen wird etwa jede zweite Sportstunde fachfremd unterrichtet, während im Sekundarbereich oft nur zwei statt drei Stunden stattfinden.
- Es besteht die Notwendigkeit der Erarbeitung von Konzepten und Maßnahmen zur Qualitätssicherung im Bereich des Schulsports.
3. Erkenntnisse zur Gestaltung des Sportunterrichts:
- Die Interessen der Schüler wurden bisher zu wenig berücksichtigt.
- Um die Begeisterung der Schüler für das Fach zu halten, sollten Trendsportarten häufiger integriert werden.
- Die Bedeutung der Sportnoten muss gestärkt werden, damit diese nicht zur kosmetischen Beigabe degenerieren.
4. Erkenntnisse zum außerunterrichtlichen Schulsport:
- Die Entwicklung außerschulischer Sportaktivitäten ist gut und richtig, darf den schulischen Pflichtsport aber nicht ersetzen.
- Gerade im Hinblick auf Ganztagsschulkonzeptionen muss dem Sport eine exponiertere Stellung zukommen. Es ist das einzige Bewegungsfach und dient als körperlicher Ausgleich.
- Die Studie belegte bei den Sportlehrerinnen und –lehrern eine große Motivation zur Durchführung von außerunterrichtlichen Sportveranstaltungen. Der Aufwand zur Verwirklichung dieser Angebote sollte aber angemessen honoriert werden.
Bei den Ergebnissen konnten die Wissenschaftler größere Unterschiede und verschiedene Schwerpunkte zwischen den befragten Gruppen ausmachen:
Die Schülerperspektive
Das Zeugnis für die Lehrkräfte im Fach Sport fiel positiv aus: Die Schüler beurteilten die pädagogische und sportfachliche Leistung überaus gut.
Allerdings finden viele den Unterricht zu eintönig und die Anforderungen zu gering. Beim inhaltlichen Angebot wünschten sich Schüler v.a. die Einbeziehung populärer Trendsportarten wie Klettern, Parkour oder Ultimate Frisbee. Hier herrscht eine große Diskrepanz zwischen schulischem Angebot und Schülerwunsch.
Dazu kommt, dass eine faire Notenvergabe im Sportunterricht nicht einfach ist. Oft wird nur die tatsächliche Leistung bewertet, dabei kommen individuelle Unterschiede in Motivation, Weiterentwicklung und Anstrengung zu kurz – so die überwiegende Meinung der Schüler.
Auch deshalb gelingt es weniger gut, „sportferne“ Schüler zu motivieren und einzubinden. Das ist besonders fatal, da sich diese Schüler in einem Teufelskreis befinden: Sie wurden meist nie an Sport herangeführt, sind häufig bereits übergewichtig und deshalb eher leistungsschwach. Durch die mangelnde Anerkennung im Sportunterricht und zu hohe Leistungserwartungen (besonders das Boden- und Reckturnen sind für weniger sportliche Kinder eine Qual) entwickeln viele eine Abneigung gegen das Fach. Welchen Anreiz haben sie, außerhalb der Schule sportlich aktiv werden?
Die Lehrerperspektive
Hinsichtlich der Ziele des Sportunterrichts ist sich die Lehrerschaft weitgehend einig.
Während Lehrerkräfte in den neuen Bundesländern allerdings größeren Wert auf die sportmotorischen Ziele und die Motivation zu weiterem Sporttreiben legen, gewichten Lehrer in den alten Bundesländern die Erziehung durch den Sport und seine Kompensationsfunktion stärker.
Das hat zur Folge, dass auch in der Benotung Unterschiede gemacht werden und je nach Ausrichtung Sozialverhalten oder sportpraktische Leistung stärker in die Notengebung einfließen.
Ganz allgemein wird der Sportunterricht selten als größere Belastung gegenüber anderen Fächern empfunden. Die Mehrheit der befragten Lehrerinnen und Lehrer sah Disziplinprobleme und Unpünktlichkeit der Schüler als größten Faktor in der Beeinflussung der Unterrichtsqualität an. Sportlehrer von Hauptschulen gaben diesbezüglich auch den mangelhaften Zustand der Sportstätten an.
Die Elternperspektive
Der Großteil der Eltern stellte bei der Befragung die Wichtigkeit des Sportunterrichts heraus und äußerte den Wunsch, dass dieser eine größere Beachtung finden möge.
Dabei wurde die Wichtigkeit für Söhne höher eingeschätzt als für Töchter. Die Befragung hat gezeigt, dass die Kontakte zwischen Eltern und Sportlehrer verbesserungsfähig sind. Das bedingt auch die Tatsache, dass ein Drittel der Mütter und zwei Drittel der Väter die Inhalte des Sportunterrichts nur teilweise oder gar nicht kennen.
Bezüglich der materiellen und personellen Situation im Sportunterricht unterscheidet sich die Einschätzung der Eltern kaum von anderen Fächern. Das Fach Sport nimmt hier keine Sonderstellung ein. Allerdings gab ein nicht geringer Prozentsatz der Eltern an, hier keine Beurteilung vornehmen zu können.
Zehn Jahre SPRINT-Studie – und nun?
Die SPRINT-Studie hat keinen erneuten „Pisa-Schock“ ausgelöst.
Allerdings gibt es eine Reihe von Problemen, die seither wissenschaftlich belegt sind und die es zu bewältigen gilt. Für den Studienleiter Prof. em. Brettschneider ist das bisher nicht ausreichend geschehen. Allein das Fehlen neuerer Daten spricht aus seiner Sicht dafür, dass es bisher keine positiveren Zahlen gibt.
Aber auch seitens der verantwortlichen Ministerien, deren Maßnahmen die Studie durch das Aufzeigen von Schwachstellen und Handlungsforderungen mitunter kritisiert, gibt es Beanstandungen: Die geläufige Kurzfassung der Studie sei zu plakativ und generalisiere zu stark, schreibt beispielsweise Thomas Halder, Ministerialdirektor und Vorsitzender der Kommission „Sport“ der Kultusministerkonferenz (die Kurzfassung der Studie finden Sie im Anschluss an den Kommentar des Ministerialdirektors). Leider ist die Seite inzwischen nicht mehr verfügbar.
Interpretationen würden teilweise als Fakten dargestellt. Die positiven Aspekte kommen dabei zu kurz und es könnte der Eindruck entstehen, für eine breite mediale Resonanz möglichst spektakuläre negative Ergebnisse präsentieren zu wollen. Auch die Methodik der Studie ist von der Kritik betroffen.
Wie sehen Sie die Entwicklung des Sportunterrichts? Haben die Erkenntnisse und Handlungsempfehlungen der SPRINT-Studie Veränderungen bewirkt oder ist sie zu den Akten gelegt worden und wird nur noch von dem ein oder anderen Sportstudenten für Hausarbeiten aus dem Regal gezogen? Oder war die Kritik am Unterricht und den Sportstätten überzogen? Unsere Kommentarfunktion steht Ihnen als Plattform für Ihre Meinungen und Erfahrungen offen!
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