Straßenhunde in Bosnien – Ein Tierschutz-Schulprojekt
Das erfahren Sie in diesem Beitrag
Bevor sie als Pflegehunde zu uns kamen, lebten die meisten von ihnen auf den Straßen in und um Velika Kladuša im Norden von Bosnien und Herzegowina, wo der Tierschutzverein Dogs Hope e.V. aktiv ist.
Dogs Hope e.V.
Dogs Hope e.V. ist ein gemeinnütziger Tierschutzverein mit Sitz im süddeutschen Aalen, der v. a. in Velika Kladuša in Bosnien und Herzegowina aktiv ist, sich aber auch um Tierschutznotfälle in Deutschland kümmert. Ziel des Vereins ist eine Verbesserung der Situation der dort lebenden Straßenhunde, v. a. durch folgende Aktionen:
- Kastrationsaktionen zur Verkleinerung der Straßenhundpopulation
- Aufklärungsarbeit über Kampagnen, Vorträge, Medien und Schulprojekte in Bosnien und Deutschland
- Zusammenarbeit mit bosnischen Tierschützern und Tierheimen (Shelter)
- Versorgung und Betreuung von Pflege- und Futterstellen in Velika Kladuša
- Vermittlung von Hunden, die auf der Straße nicht überleben würden, nach Deutschland und Österreich
Der Verein finanziert sich hauptsächlich über Spenden, Mitgliedsbeiträge und Vereinsarbeit.
Die Lage der Straßenhunde in Bosnien
Bevor es zu der Schule geht, stehen aber noch andere Aufgaben auf dem Plan: Die Pflegestellen werden mit Futter versorgt, an den Futterplätzen muss kontrolliert werden, ob sich dort kranke oder verletzte Tiere aufhalten und wir besuchen das städtische Shelter, mit dem der Verein zusammenarbeitet und das derzeit mehr als 150 Hunde beherbergt.
Und auf den Wegen zwischen den Stationen: überall Hunde.
Dass die Situation ist, wie sie ist, hat verschiedene Gründe:
Zum einen sind die Nachwirkungen des 1995 mit dem Friedensvertrag von Dayton beendeten Bürgerkriegs in Bosnien und Herzegowina immer noch spürbar.
Die Arbeitslosenquote ist mit 18,4% hoch (Stand 2018, Quelle: statista.com) und es gibt keine geregelten sozialen Absicherungen.
Menschen, die kaum ausreichend finanzielle Mittel für sich selbst haben, können sich nicht in der Art und Weise um Hunde kümmern, wie wir es in Deutschland gewöhnt sind. Das darf man nicht vergessen, wenn man auf Länder wie Bosnien blickt, in denen viele Menschen am Existenzminimum leben.
Wir sehen kleine Hunde, der Kategorie „Schoßhund“, die vermutlich als Welpen gekauft und dann ausgesetzt wurden. Genauso geht es vielen Jagdhunden, die nicht mehr benötigt werden.
Als Hauptursache für die unzähligen Straßenhunde sehen die Tierschützer aber die zahllosen unkastrierten Hunde. Auch die Hunde mit Besitzern bewegen sich in Bosnien meist frei auf der Straße oder sind draußen angekettet. So können sie sich unkontrolliert vermehren.
Den Welpen droht dann häufig das Schicksal, auf der Straße ausgesetzt zu werden. Viele sterben, doch die, die überleben, tragen dazu bei, dass sich die Hundepopulation weiter und weiter erhöht.
Einen dieser Welpen, der ohne Mutter und Geschwister mit vermutlich kaum 8 Wochen im Shelter sitzt und Obelix nennen, nehmen wir mit in die Auffangstation von Dogs Hope. Doch wie mir schon prophezeit wurde, schafft es der kleine Rüde nicht. Wie ihm geht es tausenden Welpen.
Den einzig sinnvollen Weg, diesen Kreislauf zu durchbrechen, sehen die Tierschützer in Kastrationen. Schon knapp 400 sind 2019 mit Unterstützung von Dogs Hope durchgeführt worden.
Langsam merkt man, dass weniger Welpen auf den Straßen sind. Dennoch ist es noch ein weiter Weg. Ziel ist es, dass Velika Kladuša eine Vorbildfunktion in Bosnien für eine gelungene Tierschutzarbeit einnehmen kann, an der sich andere Städte orientieren können.
Zu Besuch an der Grundschule in Todorovo
Nach unseren Besuchen bei den Hunden fahren wir nach Todorovo, einem kleinen Ort in der Nähe von Velika Kladuša. Durch Ibrahim Velic, einen Lehrer, der sich schon länger gemeinsam mit Dogs Hope für Straßenhunde einsetzt, kam der Kontakt mit der dortigen Grundschule zustande.
An der Javna Ustanova Osnovna škola „Todorovo“ werden Kinder bis zur neunten Klasse unterrichtet. In Bosnien und Herzegowina lernen Schüler die ersten neun Jahre gemeinsam, erst danach trennen sich ihre Wege und sie können an verschiedene weiterführende Schulen wechseln.
Gemeinsam mit Ibrahim Velic und seinem Sohn treffen wir uns mit Nihad Suleymanagić, dem Direktor der Schule, und Amra Suleymanagić, die dort Englisch unterrichtet, um den Ablauf des Schulprojekts zu besprechen.
Ibrahims zwölfjähriger Sohn, der bei unserem Schultermin als Dolmetscher dabei ist, ist ein Beispiel für den hohen Stellenwert, den Bildung hier in vielen Familien hat. Er hat sich deutsch durch Serien, die er mit bosnischen Untertiteln schaut, selbst beigebracht und spricht es inzwischen fließend. Wir sind schwer beeindruckt!
Die Idee, ein gemeinsames Schulprojekt zu planen, finden auch die Vertreter der Schule sehr gut. Zum einen liegt ihnen das Schicksal der Straßenhunde am Herzen, zum anderen spielen auch Sicherheitsgründe eine Rolle.
Straßenhunde sind auch in Todorovo allgegenwärtig. Dazu kommt, dass häufig Tiere in der Nähe von Schulen ausgesetzt werden, da die ehemaligen Besitzer hoffen, dass hier etwas von den Pausenmahlzeiten der Schulkinder für die Hunde abfällt. Da diese Hoffnung häufig erfüllt wird, halten sich oft viele Hunde im Pausenhof auf.
Obwohl die allermeisten Hunde freundlich sind, besteht immer die Gefahr, dass doch einmal ein Kind gebissen wird oder sich zumindest von den Hunden bedrängt fühlt. Auch auf dem Schulweg sorgen Hunderudel v. a. bei Schülern mit Angst vor Hunden für kein sicheres Gefühl.
Damit sich die Situation nicht verschlechtert, werden die Hunde, die sich in der Nähe der Schule aufhalten, nach und nach durch Osman Smailbegović, einem Tierarzt, der mit dem Tierschutzverein zusammenarbeitet, kastriert.
Zudem besteht das Angebot an die Familien der Schüler, dort auch die eigenen Hunde kostenlos kastrieren zu lassen.
Sollte es dennoch zu Problemen mit einzelnen Hunden oder Hundegruppen kommen, können sich die Schüler an ihre Lehrerinnen und Lehrer wenden, damit diese Dogs Hope informieren. So kann der Verein Hilfe koordinieren und unterstützend eingreifen.
Wir vereinbaren, im Herbst, wenn das neue Schuljahr begonnen hat, wiederzukommen, um mit einer Schülergruppe einen Workshop rund um das Thema Straßenhunde durchzuführen. Die Hoffnung ist, dass diese Kinder zu Multiplikatoren in Sachen Tierschutz werden.
Inzwischen hat dieser Workshop stattgefunden und ich treffe mich mit Tanja Baker und Elke Fuchs, den beiden Vorsitzenden von Dogs Hope, da ich selbst diesmal nicht mit dabei sein konnte.
Das Tierschutzschulprojekt in Todorovo
Das Projekt fand am 21. Oktober 2019 in der Grundschule in Todorovo mit ca. 25 Schülern der Klassenstufen 6 bis 9 statt. Nach einem kleinen Empfang mit dem Direktor Nihad Suleymanagić wurden Elke und Tanja mit einer beeindruckenden Präsentation eines Schülers mit Informationen zur Region und einer passend zum Thema gestalteten Klassenzimmerwand überrascht!
Von den weiteren Eindrücken berichten die beiden aber am besten selbst :)
Viele nachhaltig arbeitende Tierschutzorganisationen, die im Ausland tätig sind, binden Schulen und Kindergärten in die Tierschutzarbeit ein. Warum ist die Zusammenarbeit aus eurer Sicht so bedeutend?
Tanja: Wir sind uns ganz sicher, dass die junge Generation die wirkliche, nachhaltige Veränderung bringt. Man kann, das wissen wir ja auch von uns selbst, v.a. das gut verinnerlichen und umsetzten, in das man hineinwächst.
Die Menschen, die schon ein gewisses Alter haben, machen vielleicht eine Zeitlang mit, weil es z. B. gerade schick ist oder Vorgaben und Strafen erlassen werden. Das wird aber nicht dasselbe sein, wie wenn man die nächste Generation anspricht und versucht, bei den Kindern ein Bewusstsein für Tierschutz zu schaffen.
Welche Themen waren euch besonders wichtig?
Elke: Uns war es v. a. wichtig, die Gelegenheit zu nutzen, um Vorurteile aus dem Weg zu räumen und die Sicht der Schüler zu gewissen Themen zu erfahren.
Z. B. kursiert das Gerücht, dass die deutschen Tierschützer mit dem Verkauf der Hunde nach Deutschland Geld verdienen und das sozusagen ihr Beruf ist. Auf Nachfrage, wer von dem Gerücht gehört habe, meldeten sich fast alle Schüler.
Wir mussten dann erstmal erklären, dass wir alle ganz normale Berufe haben und von der Schutzgebühr, die wir für einen vermittelten Hund erhalten, noch die Kosten für den Quarantäneaufenthalt vor der Ausreise, Transportgebühren, Kastration, Impfungen, die Chip-Kennzeichnung und oft weitere tierärztliche Behandlungen abgehen.
Außerdem wollten wir die Schüler über verschiedene Krankheitsbilder aufklären, die Straßenhunde häufig zeigen.
Tanja: Wir haben die verschiedenen Zoonosen besprochen, also Krankheiten, die von Tier zu Mensch übertragen werden können, wie Tollwut, die im Gebiet um Kladuša aber nicht verbreitet ist.
Besonders schlimm sehen Hunde mit einem starken Befall von Demodex-Milben aus (die Hunde haben oft kaum noch Fell und teilweise offene Stellen, Anm. d. Red.). Vor diesen Hunden haben viele Menschen Angst, obwohl Demodikose für den Menschen nicht gefährlich ist.
Uns war es auch wichtig, dass die Schüler verstehen, dass in dem Moment, in dem sie wirklich Verantwortung übernehmen, die Situation der Straßenhunde komplett beendet werden kann. Es liegt nur an den Menschen, ob es Straßenhunde gibt oder nicht. Es ist kein natürlicher Zustand.
Hattet ihr den Eindruck, dass das Thema Straßenhunde für die Schüler interessant war?
Tanja: Ich habe das Interesse als viel größer empfunden, als ich davor angenommen habe. Wobei man dazusagen muss, dass die bosnischen Schüler im Unterricht allgemein sehr brav sind. Es gab kaum Störungen des Unterrichts. Es ist aber in der Stunde auch niemand weggedriftet, was ja schnell passieren kann. Die Schüler waren sehr aufmerksam, haben Fragen gestellt und gut mitgearbeitet.
Gab es Punkte in eurer Präsentation, die sie überrascht oder besonders interessiert haben?
Tanja: Die Schüler waren sehr überrascht, wie sehr Hunde in Deutschland in die Familien integriert sind und welche Rollen sie hier einnehmen können.
Die Vorstellung von Schulhunden, Assistenz- und Therapiehunden oder Hundesport waren ihnen fremd und hat für erstaunte und amüsierte Gesichter gesorgt.
V. a. beim Thema Schulhund ging ein Raunen durch die Klasse. Die Schüler (und auch die Lehrerin) konnten sich nicht erklären, wofür man in der Schule einen Hund brauchen könnte. Nachdem wir den Schülern Bilder von inzwischen vermittelten Straßenhunden gezeigt haben, die heute als Schulhunde, Begleit- und Besuchshunde arbeiten, meinte die Lehrerin: „Da seht ihr mal, was für berühmte Hunde wir hier haben!“
Das war sehr schön, denn es ist ja unsere Hoffnung, den Status der Hunde dort anzuheben. Oft hören wir, diese Hunde hätten keinen Wert, denn es sind ja keine Rassehunde. Deswegen wollen wir zeigen, was mit diesen Hunden alles möglich ist.
Elke: Auch der Punkt, dass der Hund zwar vom Wolf abstammt, aber kein Wildtier ist, fanden die Schüler erstaunlich. Hunde suchen die Nähe des Menschen und begleiten die Kinder deshalb z. B. auch auf dem Schulweg. Dass die Straßenhunde Haustiere ohne Zuhause sind und ihnen auch deshalb hinterherlaufen, hat bei den Schülern zu einem richtigen Aha-Erlebnis geführt.
Tanja: Auch für viele Erwachsene sind Hunde Wildtiere, die deshalb im Winter nicht frieren und sich selbst versorgen können. Den Punkt, dass Menschen Hunde in all ihren Ausprägungen zu den Lebewesen gemacht haben, die sie heute sind, und dass sie deshalb auch Verantwortung für sie tragen, können viele nicht annehmen. Die Kinder waren hier viel offener!
Wie wird es nun weitergehen?
Tanja: Die Schüler haben die Aufgabe bekommen, sich aus den vorgestellten Themen ein Thema auszusuchen und dazu in kleinen Gruppen eine Präsentation zu erstellen. Diese Präsentation werden die Schüler in Anwesenheit von Lehrern, Eltern und uns vortragen.
Warum ist es euch wichtig, dass die Eltern dabei sind?
Tanja: Wenn die Kinder daheim nur von dem Projekt erzählen würden, bin ich mir sicher, dass sie nicht so zuhören würden, wie wenn sie zur Präsentation eingeladen werden. So können die Eltern auch einen Bezug zu uns bekommen.
Werdet ihr das Projekt auch an anderen Schulen durchführen?
Elke: Die Schule in Todorovo war der Start des Projekts. Nach und nach möchten wir es auch an anderen Schulen weiterführen.
Tanja: Unser Wunsch ist es, das Projekt an Schulen in Kladuša und den vielen kleineren Gemeinden, die zu Kladuša gehören, durchzuführen und das Konzept weiter auszuarbeiten. Mit der Schule in Todorovo als Vorzeigeschule und Velika Kladuša als Aushängeschild, hoffen wir, das Konzept dann auch an andere Orte und Regionen weitergeben zu können. Das kann vielleicht noch zwei Jahre dauern, ist aber unser Ziel.
Konntet ihr denn schon Erfolge eurer Arbeit feststellen?
Elke: Deutlich spürbar ist die größere Akzeptanz und Offenheit gegenüber Dogs Hope. Es kommen immer mehr Menschen auf uns zu, wenn sie Hilfe brauchen.
Der Rückgang der Welpen auf der Straße ist auch klar sichtbar. Es sind für uns natürlich immer noch zu viele, aber der Erfolg der Kastrationen ist offensichtlich. Auch die Zahl der älteren Hunde auf der Straße hat abgenommen.
Tanja: Es kommen auch immer mehr Leute mit ihren Hunden zu unseren Kastrationsaktionen. Nach dem ersten Aufruf über das Radio konnten fünf oder sechs Hunde kastriert werden. Mittlerweile sind es immer zwischen 20 und 30 Hunde. Die Akzeptanz seitens der städtischen Behörden ist gewachsen und wir werden als wichtiger Berater im Umgang mit den Hunden betrachtet. So können wir das Thema Straßenhunde gemeinsam angehen, was schön und ein wirklich großer Erfolg ist.
Weitere Informationen zur Arbeit von Dogs Hope finden Sie hier:
Ferdinand-Porsche-Str. 6
73479 Ellwangen
E-Mail: [email protected]
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